Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Einleitung. 277 
nicht durch die innerliche Konsequenz stillschweigend ausgeschlossen ist. 
Eine neue Kodifikation des kanonischen Rechts ist für das Geltungsgebiet der 
katholischen Kirche durch das Motuproprio „De Ecclesiae legibus in unum 
redigendis‘‘ v. 19. März 1904 eingeleitet. Im weiteren sind die kirchengesetz- 
lichen Rechtsquellen konfessionell getrennt. 
Zentrale kirchengesetzliche Rechtsquellen des katholischen Kirchen- Kat. kirchen- 
rechts sind die Beschlüsse der ökumenischen Konzilien und die päpst- * Jueien. 
lichen Erlasse. Von den beiden nachreformatorischen Konzilien hat das 
Tridentinum (1542/63) die Scheidung zwischen Katholizismus und Protestan- 
tismus im Gebiete des Glaubens vollendet und in 166 sog. Reformationsdekreten 
die kanonische Rechtsordnung in allen wesentlichen Teilen, darunter namentlich 
das Eherecht (sessio XXIV, s. aber u. III, 2) revidiert, das Vaticanum (1869/70) 
die Verfassung der Kirche im Verhältnis von Papst, Konzil und Bischöfen im 
Geiste der bisherigen Entwickelung durch die Dogmen der Unfehlbarkeit und 
des Universalepiskopates abgeschlossen (const. Pastor aeternus vom 18. Juli 
1870). Die päpstlichen Erlasse teilen sich nach ihrer Form in Bullen, Breven, 
und Enzykliken. Unter diesen hat die Encyclica Quanta cura vom 8. De- 
zember 1864 mit dem syllabus errorum nostrae aetatis, einem Verzeichnis von 
80 angeblichen Zeitirrtümern, am schärfsten die mittelalterlichen Hoheits- 
ansprüche der katholischen Kirche verwahrt (s. u. V) und ihre grundsätzlich 
ablehnende Stellung zur modernen Kultur, soweit sie nicht selbst jenen An- 
sprüchen dienstbar wird, festgelegt. Unter den in die Gegenwart ragenden 
Quellenzeugnissen hierfür sind namentlich der neue Syllabus v. 13. Juli 1907 
und die Encyclica Pascendi domini v. 8. September 1907 über den Modernismus 
bemerkenswert. Partikuläre kirchengesetzliche Rechtsquellen sind die Be- 
schlüsse von Provinzialsynoden, d. h. Versammlungen der Suffraganbischöfe 
einer Kirchenprovinz unter dem Erzbischof, die bischöflichen Verordnungen 
und die Statuten gewisser mit dem Rechte der Autonomie ausgestatteten kirch- 
lichen Korporationen, wie der Domkapitel und geistlichen Gesellschaften. 
Alles kirchengesetzliche Recht der evangelischen Kirche in Deutschland Evang. kirchen- 
ist landeskirchliches Recht. Denn eine rechtlich verfaßte deutsche National- *" “veien. 
kirche gibt es nicht. Zwar hat sich das Bedürfnis eines organischen Zusammen- 
hangs der deutschen evangelischen Landeskirchen seit Mitte des 19. Jahrhunderts 
mit immer wachsender Stärke angemeldet. Es hat aber zuletzt im November 
1903 vorläufig nur zu einer freien Vertretung der Kirchenregimentsbehörden 
im sog. „Deutschen Evangelischen Kirchenauschuß‘“ geführt, als einem Organe 
gegenseitiger unverbindlicher Verständigung ohne administrative oder legis- 
lative Zuständigkeit. Die landesherrlichen und städtischen Kirchenordnungen 
des 16. und 17. Jahrhunderts haben mit verschwindenden Ausnahmen ihr 
Geltung verloren. Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in terri- 
torialistischer Auffassung die Rechtsverhältnisse der deutschen evangelischen 
Landeskirchen zumeist durch Akte der Staatsgesetzgebung festgestellt. Erst 
mit Ausbildung der Kirchengemeinde- und Synodalverfassungen ist an Stelle 
dieser staatsgesetzlichen Ordnungen des Kirchenwesens ein selbständiges
	        
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