Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Kirchenverfassung. 283 
Wirkungen, kein spiritueller Charakter, keine Grade geistlicher Begabung, 
keine Stufen der Ordination. Daher hier auch ein anderer Sinn in der Unter- 
scheidung von geistlichem Stand und Laienstand. Im Sinn der katholischen 
Kirche eine Differenz spiritueller Befähigung, hier eine Verschiedenheit juris- 
diktioneller Berechtigung. Daher endlich hier auch keine unüberbrückbare 
Kluft in der sozialen und sittlichen Lebensordnung der Geistlichen und Laien, 
für jene kein kirchlicher Anspruch auf besondere Immunität, keine rechts- 
gesetzliche Gängelung bis ins kleine und einzelne, kein Breviergebet, kein 
Zölibat, und statt kasuistischer Ausprägung des decorum clericale der Appell 
an die Freiheit des persönlichen Pflicht- und Verantwortlichkeitsbewußtseins 
vor Gott und der Gemeinde. Nach alledem stellt sich in der evangelischen 
Kirchenordnung der geistliche Beruf als Einheit im Pfarramte dar. Die 
rechtliche Ordnung des evangelischen Pfarramts selbst ist, soweit das Ver- 
hältnıs zu Parochie und Parochianen in Betracht kommt, mit einigen Be- 
sonderheiten nach kanonischem Vorbild geregelt geblieben. Die spezifisch 
kirchliche Amtsgewalt des Pfarrers umfaßt die Verwaltung von Wort und 
Sakrament. In den Tätigkeiten der äußerlich rechtlichen Leitung ist das zweite 
Verfassungselement, die Gemeinde beteiligt. 
So wesentlich nämlich die Grundlegung evangelischer Kirchenverfassung Gemeinde- 
im geistlichen Amt, so notwendig ihr weiterer Aufbau aus dem Gemeinde- "" 
prinzip. Gemeinde im weitesten Sinne: als die Einheit des evangelischen 
Laienstandes. Geistliche und Laien sind zu organischem Zusammenwirken 
im Dienste der Kirche berufen. Seine positivrechtliche Ausgestaltung findet 
dieser Grundsatz in der repräsentativen Organisation der kirchlichen Orts- 
gemeinden und der Synodalverbände. In der ‚Presbyterial- und Synodal- 
verfassung‘‘ der reformierten Kirche von Anfang als Ausgang gewählt, hat das 
Gemeindeprinzip in den lutherischen und unierten Gebieten der „Konsistorial-“, 
d. h. rein kirchenregimentlichen Verfassung, erst durch die Entwickelung des 
19. Jahrhunderts Bestand gewonnen. Unter den deutschen evangelischen 
Landeskirchen haben sich ihm vollständig nur die beiden Mecklenburg versagt, 
doch ist im Zusammenhange mit den neuesten Bestrebungen auf Einführung 
einer konstitutionellen Verfassungsform auch eine Reform auf kirchlichem 
Verfassungsgebiete geplant. Alle übrigen haben durch Verbindung des Ge- 
meindeprinzips mit dem Organismus des landesherrlichen Kirchenregiments 
die sog. „gemischte Verfassungsform‘' angenommen. 
Hiernach sind auf unterer Stufe die Ortsgemeinden zunächst durch Ortsgemeinden. 
ihre Gemeindekirchenräte, Presbyterien, Kirchenvorstände usw. zu den Auf- 
gaben der lokalen Kirchenregierung, als Aufsichtsführung, Kirchenzucht, 
Armen- und Krankenpflege, Vermögensverwaltung usw. berufen. In gewissen 
Angelegenheiten, wie wichtigeren Akten der Vermögensverwaltung, Bau- und 
Umlagewesen, Aufstellung der Etats, Ausübung der Autonomie, auch Pfarr- 
wahlen, ist außerdem in kleineren Gemeinden die Urversammlung der wahl- 
berechtigten Gemeindeglieder, in größeren eine Gemeindevertretung oder 
Repräsentation beteiligt. Wahlrecht und Wählbarkeit zu diesen Körperschaften
	        
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