A. Frühere Rechtstheorien. III. Die materialistische Geschichtsauffassung. I
der freien Konkurrenz, der Freizügigkeit, der Gleichberechtigung der Waren-
besitzer. Und dies sei die wahrhaft wissenschaftliche Erklärung der französi-
schen Revolution.
Bei der sozialen Produktion bilden sich „ökonomische Phönomene‘‘. Sie Ökonomische
entsprechen im sozialen Leben dem, was im Raume die äußeren Erscheinungen ”
sind. Sie, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, sind, nach dem sozialen
Materialismus, Naturgebilde. Sie entstehen, bewegen und verändern sich und
gehen unter, alles in naturwissenschaftlich zu erforschenden Prozessen. Dahin
würde das Schwanken der Preise der Waren, wie der Löhne der Arbeiter zählen;
das Herunterkommen des Handwerks, das Aufsteigen des Großbetriebes in
den sozialen Einheiten der verschiedenen Produktions- und Umsatzorgani-
sationen, die Notlage der Landwirtschaft und die Verschuldung des ländlichen
Grundbesitzes, das Anschwellen des Proletariates, die industrielle Reserve-
armee usf. In ihrer Gesamtheit bilden die ökonomischen Phönomene die
Materie des sozialen Daseins der Menschen; in ihrem Leben und Vergehen
stellen sich deren Bewegungen dar. Und da es nach der geschilderten
Grundauffassung im letzten Grunde überall auf die Art sozialer Wirtschaft
ankommt, so könne eine wissenschaftliche Erforschung des sozialen Lebens
in sich nur auf der naturgesetzlichen Betrachtung von ökonomischen Phäno-
menen beruhen, wobei stets der entwicklungsgeschichtliche Standpunkt bei-
zubehalten sei,
Wir zeigten vorhin schon in Beispielen, wie damit eine allgemeine
Methode für die Aufgaben der Geschichtsschreibung aufgestellt ist.
Die Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung haben denn
auch seit längerem ihr Augenmerk darauf gerichtet, die Erforschung
und Darstellung der sozialen. Geschichte unter dem Gesichtspunkte durch-
zuführen, daß die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Änderungen in
der Ökonomie der betreffenden Periode zu suchen seien. Dabei verkennt diese
Lehre durchaus nicht die maßgebliche Bedeutung der ‚‚Ideen‘‘ im weitesten Ideen als
Sinne des Wortes. Wenn sie sich in bewußteri Gegensatz zu einer sog. „Ideo- u unen
logie‘‘' stellt, so meint sie damit eine Ansicht, welche die menschlichen Vor-
stellungen über gut und böse, gerecht und schlecht aus einer zweiten Welt
her in einer zweiten und abgesonderten Kausalreihe entstehen läßt. Dem
gegenüber leugnet die materialistische Geschichtsauffassung zwar keineswegs
die Tatsache, daß ideale Ziele in menschlichen Auffassungen und Bestrebungen
oft genug die nächsten Gründe für die historisch vorliegenden Rechtsände-
rungen abgegeben haben und immer abgeben werden. Aber sie meint, daß
die gemeinsamen Geisteserscheinungen in der Menschengeschichte nichts als
widergespiegelte Abbilder der wirtschaftlichen Verhältnisse bedeuten; es seien
Reflexwirkungen der ökonomischen Phänomene. Die Auffassungen darüber,
was erlaubt oder was unrecht sei, fänden sich bei einem Jäger- oder einem
nomadisierenden Hirtenvolke in anderer Weise, als sie der Bauer auf abge-
grenztem Eigentum hegt; anders seien sie bei dem Großkaufmann als bei dem
kleinbürgerlichen Handwerker, oder bei germanischen Kriegern und Raub-