Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

A. Frühere Rechtstheorien. III. Die materialistische Geschichtsauffassung. I 
der freien Konkurrenz, der Freizügigkeit, der Gleichberechtigung der Waren- 
besitzer. Und dies sei die wahrhaft wissenschaftliche Erklärung der französi- 
schen Revolution. 
Bei der sozialen Produktion bilden sich „ökonomische Phönomene‘‘. Sie Ökonomische 
entsprechen im sozialen Leben dem, was im Raume die äußeren Erscheinungen ” 
sind. Sie, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, sind, nach dem sozialen 
Materialismus, Naturgebilde. Sie entstehen, bewegen und verändern sich und 
gehen unter, alles in naturwissenschaftlich zu erforschenden Prozessen. Dahin 
würde das Schwanken der Preise der Waren, wie der Löhne der Arbeiter zählen; 
das Herunterkommen des Handwerks, das Aufsteigen des Großbetriebes in 
den sozialen Einheiten der verschiedenen Produktions- und Umsatzorgani- 
sationen, die Notlage der Landwirtschaft und die Verschuldung des ländlichen 
Grundbesitzes, das Anschwellen des Proletariates, die industrielle Reserve- 
armee usf. In ihrer Gesamtheit bilden die ökonomischen Phönomene die 
Materie des sozialen Daseins der Menschen; in ihrem Leben und Vergehen 
stellen sich deren Bewegungen dar. Und da es nach der geschilderten 
Grundauffassung im letzten Grunde überall auf die Art sozialer Wirtschaft 
ankommt, so könne eine wissenschaftliche Erforschung des sozialen Lebens 
in sich nur auf der naturgesetzlichen Betrachtung von ökonomischen Phäno- 
menen beruhen, wobei stets der entwicklungsgeschichtliche Standpunkt bei- 
zubehalten sei, 
Wir zeigten vorhin schon in Beispielen, wie damit eine allgemeine 
Methode für die Aufgaben der Geschichtsschreibung aufgestellt ist. 
Die Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung haben denn 
auch seit längerem ihr Augenmerk darauf gerichtet, die Erforschung 
und Darstellung der sozialen. Geschichte unter dem Gesichtspunkte durch- 
zuführen, daß die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Änderungen in 
der Ökonomie der betreffenden Periode zu suchen seien. Dabei verkennt diese 
Lehre durchaus nicht die maßgebliche Bedeutung der ‚‚Ideen‘‘ im weitesten Ideen als 
Sinne des Wortes. Wenn sie sich in bewußteri Gegensatz zu einer sog. „Ideo- u unen 
logie‘‘' stellt, so meint sie damit eine Ansicht, welche die menschlichen Vor- 
stellungen über gut und böse, gerecht und schlecht aus einer zweiten Welt 
her in einer zweiten und abgesonderten Kausalreihe entstehen läßt. Dem 
gegenüber leugnet die materialistische Geschichtsauffassung zwar keineswegs 
die Tatsache, daß ideale Ziele in menschlichen Auffassungen und Bestrebungen 
oft genug die nächsten Gründe für die historisch vorliegenden Rechtsände- 
rungen abgegeben haben und immer abgeben werden. Aber sie meint, daß 
die gemeinsamen Geisteserscheinungen in der Menschengeschichte nichts als 
widergespiegelte Abbilder der wirtschaftlichen Verhältnisse bedeuten; es seien 
Reflexwirkungen der ökonomischen Phänomene. Die Auffassungen darüber, 
was erlaubt oder was unrecht sei, fänden sich bei einem Jäger- oder einem 
nomadisierenden Hirtenvolke in anderer Weise, als sie der Bauer auf abge- 
grenztem Eigentum hegt; anders seien sie bei dem Großkaufmann als bei dem 
kleinbürgerlichen Handwerker, oder bei germanischen Kriegern und Raub-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.