Kirchen-
nuitgliedschaft.
Begründung.
Fur Erwachsene.
294 WILHELM KaHL: Kirchenrecht.
endet. Dieses materielle Prinzip kann freilich nie durch einen Akt evan-
gelischer Kirchengesetzgebung festzulegen sein. Es reguliert sich nach dem
durch Vermittelung der theologischen Wissenschaft sich vertiefenden und in
diesem Sinne reformatorisch fortschreitenden Gesamtverständnis der Kirche
von dem Inhalte ihres Glaubens. Daher hat auch das Preußische Gesetz sich
lediglich auf eine Ordnung des ‚Verfahrens‘ beschränkt.
III. Kirchenmitgliedschaft. Es kommt ein Dreifaches in Betracht:
ihre Begründung, ihre Wirkung und ihre Beendigung.
1. Die Begründung der Kirchenmitgliedschaft geschieht bei Erwachsenen
kraft eigener Wahl, bei nicht Erwachsenen kraft fremden Willens. Die Alters-
grenze dieser religiösen Selbstbestimmungsfähigkeit ist landesgesetzlich ver-
schieden bestimmt. Sie schwankt zwischen dem 14., 16., 18. und 21. Lebens-
jahr. Erstere ist vorherrschend, aber zweifellos zu niedrig gegriffen. Grund-
sätzlich würde das 16. Lebensjahr, als Termin der Eidesfähigkeit, zu billigen sein.
Für Erwachsene in diesem gesetzlichen Sinne ist die Selbstbestimmung
ihrer Kirchenmitgliedschaft ein Ausfluß des bürgerlichen Grundrechts der Ge-
wissensfreiheit. Kraft dieses haben sie von Staats wegen die Freiheit des
Eintrittes in jede der im Staate bestehenden Kirchen- und Religionsgesell-
schaften, sowie des Religions- und Konfessionswechsels. In allen diesen Fällen
ist die staatliche Anerkennung nur von dem Vorhandensein der freien, d. h.
nicht durch die verbotenen Mittel des Zwanges und der Überlistung beein-
flußten Willensentschließung abhängig. Im Falle des Konfessionswechsels ist
sie außerdem noch durch Beobachtung der im Interesse der Rechtssicherheit
staatsgesetzlich vorgeschriebenen Form bedingt. In der Regel wird dazu aus-
drückliche Willenserklärung erfordert. Das Preußische Allgemeine Landrecht
kennt auch Anschluß durch konkludente Handlungen. Die Preußische Mai-
gesetzgebung hat das bestehende Recht über die Form des Konfessionswechsels
unberührt gelassen. Will jedoch der Übertretende von den Lasten seines bis-
herigen Verbandes befreit werden, so muß er die im Gesetze vom 14. V. 73 über
den Austritt aus der Kirche vorgeschriebene Form (s. unten 3) beobachten.
Unabhängig von diesen Bedingungen der staatlichen Anerkennung besteht
aber die volle Selbständigkeit der Kirchengesellschaften, Art und Maß der
kirchlichen Voraussetzungen des Ein- und Übertrittes erwachsener
Staatsangehöriger festzusetzen. Die Aufnahme erwachsener Nichtchristen
(Eintritt) setzt in der katholischen wie in der evangelischen Kirche Kenntnis
der Glaubenslehre und Glaubensbekenntnis voraus; außerdem wird zur Taufe
von Nichtchristen dort die Zustimmung des Bischofs, hier nur vereinzelt kirchen-
regimentliche Genehmigung verlangt. In Ansehung der Aufnahme erwachsener
Christen (Übertritt) besteht dagegen, abgesehen von Kenntnis und Bekenntnis
der Glaubenslehre, zwischen den Ansprüchen der katholischen und der evan-
gelischen Kirche auch hier wieder eine grundsätzliche Verschiedenheit. Zwar
wurde wechselseitig bis in die neuere Zeit, unterbrochen nur durch vereinzelte
unduldsame Vorgänge, das Anerkenntnis einer biblisch vollzogenen Taufe fest-