Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Religiöse Er- 
ziehung ven 
Kindern aus 
gemischter Ehe. 
296 WILHELM KAHL: Kirchenrecht. 
Aus dem weiten Gebiete der hiermit eröffneten Fragen hat namentlich die 
letzte schon seit dem Westfälischen Frieden, besonders aber seit Ende des 
18. Jahrhunderts die deutsche Gesetzgebung ununterbrochen beschäftigt. Der 
harte Zusammenstoß der hierin sich ausschließenden Ansprüche der Kon- 
fessionen erforderte das vermittelnde Eingreifen der staatlichen Schutz- und 
Aufsichtsgewalt. Schon vor Eintritt des neuen bürgerlichen Rechtes gab es 
neben den sog. gemeinrechtlichen Gebieten mit unbeschränkt freiem elterlichem 
Bestimmungsrecht nicht weniger als 21 partikuläre Rechtsgebiete mit den 
verschiedenartigsten Gesetzen und Prinzipien über die religiöse Erziehung von 
Kindern aus gemischter Ehe. Auf das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch war 
daher die Hoffnung der Rechtseinheit auch hier gerichtet. Statt ihrer nahm 
A. 134 d. Einf.-G. die Bestimmung auf: ‚Unberührt bleiben die landesgesetz- 
lichen Vorschriften über die religiöse Erziehung der Kinder.‘‘ Man begründete 
den Vorbehalt mit der ‚vorwiegenden‘‘ Zugehörigkeit dieser Vorschriften zum 
„öffentlichen Recht, nämlich dem interkonfessionellen Staatskirchenrecht.“ 
Sein realer Grund lag in dem Streit und der Eifersucht der Konfessionen. In 
Wahrheit handelt es sich ‚vorwiegend‘ um eine privatrechtliche Frage, um 
das Erziehungsrecht. Dieses verändert dadurch, daß es die Religion zum 
Gegenstande hat, nicht seine rechtliche Natur. Die zersetzenden und ewig 
gärenden öffentlich rechtlichen Elemente sind erst historisch und politisch 
eingemischt. Die Wirkung des erwähnten Vorbehaltes für die Gegenwart ist 
nun die, daß durch Revision der früheren oder Hinzutritt neuer Landesgesetze 
neben wenigen gemeinrechtlichen Gebieten im älteren Sinne 30 Partikular- 
rechtsgebiete das Bild eines sehr verschiedenartigen Rechtszustandes über die 
religiöse Erziehung von Kindern aus gemischten Ehen abwerfen. Zwei Grund- 
prinzipien greifen in dieser bunten Gesetzgebung durcheinander: das des freien 
Bestimmungsrechts und das der gesetzlichen Anweisung. Dabei 
haben diese Prinzipien teils exklusiven Charakter, teils sind sie in eventuelle 
Verbindung gesetzt. Das erstgenannte Grundprinzip hat wiederum eine drei- 
fache Anwendung gefunden. Zunächst in dem primären Rechte elterlicher 
Vertragsfreiheit (z. B. Bayern, Württemberg, Sachsen, Mecklenburg- 
Schwerin, Lippe, Waldeck, Frankfurt a. M., Hamburg); über Zeitpunkt und 
Form der Verträge gehen dabei die gesetzlichen Bestimmungen auseinander. 
Zweitens in einer von der Vertragsform unterschiedenen Zulassung der freien 
Einigung der Eltern (so z. B. im Preuß. Landrechtsgebiet, in Nassau, Gotha 
und Schleswig). Drittens in dem Rechte einseitiger Verfügung des Vaters 
(so z. B. Hannover, Kurhessen, Holstein, Baden, Hessen, Braunschweig, Lübeck) 
oder der Mutter (so event. in Holstein) oder des nach bürgerlichem Recht je- 
weils erziehungsberechtigten Teiles (so schon länger in Oldenburg und in den 
meisten neueren auf Grund des B.G.B. erlassenen Gesetzen, wie in Altenburg, 
Schwarzburg-Rudolstadt, S.-Meiningen, Reuß). Das andere Grundprinzip hat 
eine zweifache positivrechtliche Ausprägung erhalten. Zuerst in der schon 
einer weitverbreiteten Observanz im älteren deutschen Reich entsprechenden 
konfessionellen Teilung der Kinder nach dem Geschlecht der Eltern (event.
	        
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