Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Rechte. 
Einfluß der 
Staatsangehörig- 
keit auf Rechte 
der Kirchen- 
glieder. 
Pflichten 
der Kirchen- 
glieder. 
298 WILHELM KAHuL: Kirchenrecht. 
lischen Kirchenrechts modifiziert sich jedoch der Inhalt des kirchlichen 
Bürgerrechts durch das allgemeine Verfassungsprinzip, welches Laien von der 
potestas jurisdictionis auf allen Stufen der ordentlichen oder außerordentlichen 
Leitung der Kirche ausschließt und nach dem geschichtlichen Entwickelungs- 
gange lediglich und äußerstenfalls zur Teilnahme an Akten der kirchlichen 
Vermögensverwaltung zugelassen hat. Anderseits ist in evangelischen Kirchen- 
kreisen eine Bewegung eingeleitet, welche die Übertragung des kirchlichen 
Bürgerrechts auch auf Frauen mindestens im Umfang der örtlichen Gemeinde- 
Verfassung und -Verwaltung erstrebt. Diese Bewegung ist in hohem Grade 
beachtsam und kann, wenn maßvoll geleitet und zu richtigem Ende geführt, 
dem evangelischen Gemeindeleben wertvolle Kräfte der Zukunft sichern. 
Jedenfalls steht mit apostolischen Ordnungen und Einrichtungen die aktive 
Beteiligung der Frauen auch am Rechtsleben der Kirchengemeinde nicht in 
Widerspruch. 
Die Rechte der Kirchenglieder sind endlich auch von dem Verhältnis der 
gleichzeitigen Staatsangehörigkeit nicht unberührt. Zwar äußert einerseits 
in den Beziehungen zum staatlichen Leben selbst die Tatsache der Kirchen- 
mitgliedschaft einen grundsätzlichen Einfluß insoweit nicht mehr, als die 
deutsche Reichsgesetzgebung die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staats- 
bürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis gewährt, und hiernach nicht 
nur keinem Reichsangehörigen um des Glaubensbekenntnisses willen der Auf- 
enthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von Grund- 
eigentum verweigert, sondern auch nicht die Befähigung zur Teilnahme an der 
Gemeinde- und Landesvertretung sowie zur Bekleidung öffentlicher Ämter 
versagt werden darf. (Freizügigkeits-G. v. I. XI. 1867 vb. RG. v. 3. VII. 1869 
über die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürger- 
licher Beziehung.) Anderseits dagegen reflektiert die Tatsache der Staats- 
angehörigkeit darin, daß die Kirchenglieder den besonderen Schutz des Staates 
gegen Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt in Anspruch zu nehmen 
haben. Der geschichtlich im Systeme der gallikanischen Freiheiten, daher auf 
französischem Boden wurzelnde, seit dem 16. Jahrhundert auch in der Praxis 
des älteren deutschen Reiches anerkannte ‚recursus ab abusu“ hat freilich im 
gegenwärtigen Landesrecht ein ungleiches Maß von wirksamer Durchbildung 
erfahren. Er besteht verfassungsmäßig ausgeprägt in Bayern, Sachsen, Hessen 
und anderen Staaten. In Preußen ist der Rechtszustand nicht befriedigend. 
Ein recursus ab abusu kann hier, nachdem die besonderen Bestimmungen der 
Maigesetze von 1873 zum Schutze gegen Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt 
für alle Kirchenglieder und die Kirchenbeamten im besonderen durch die 
Novellengesetzgebung von 1886 und 1887 wieder zu Fall gebracht waren, 
höchstens in der abgeblaßten Form einer allgemeinen Verwaltungsbeschwerde 
geltend zu machen sein. 
Auch die Pflichten der Kirchenglieder stehen unter der doppelten Ein- 
wirkung der Kirchenmitgliedschaft und der Staatsangehörigkeit. Dabei scheiden 
natürlich aus dem gegenwärtigen Zusammenhange diejenigen Verpflichtungen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.