V. Kirchen und Staat. 309
Erklärung und Versicherung der Unantastbarkeit des konfessionell landes- oder
provinzialkirchlichen Bekenntnisstandes abgegeben. Dadurch und durch die
einwandsfrei gerechte Praxis des preußischen Kirchenregiments sollten endlich
die Quellen jenes Mißtrauens geschlossen werden können. Wer innerlich über-
zeugt ist, daß die Erhaltung und Mehrung des Wahrheitsgehaltes der Refor-
mation im edelsten und besten Sinne eine Kulturbedingung für Gegenwart
und Zukunft bildet, muß in der allmählichen Lösung der Spannung zwischen
den evangelischen Konfessionen auch in Wahrheit eine dankbare und wichtige
Kulturaufgabe erkennen und ergreifen. Durch die Mittel des Rechts läßt sich
diese Spannung freilich nicht lösen. Aber das Recht allein schafft die Voraus-
setzungen und Garantien, unter deren Schutz die Überwindung der Gegensätze
von innen heraus gelingen kann. Aus diesem Grunde ist es so ungemein wichtig,
daß auch die für das äußerlich paritätische Verhältnis der Kirchengesell-
schaften maßgebende Rechtsordnung im Geiste gerechter Freiheit und Ge-
bundenheit aufgerichtet sei.
Die hier berührten Gedankenkreise haben unvermeidlich bereits in das
Verhältnis der Kirchen zum Staat hinübergeführt. Dieses Problem ist ab-
schließend noch selbständig in Betracht zu ziehen.
V. Kirchen und Staat. Der universalgeschichtliche Entwickelungs- Kirchen und
gang zeigt zwei Grundverhältnisformen von Staat und Kirche: ihre Einheit Staat.
und folgeweise Verbindung, ihre Verschiedenheit und folgeweise Lösung.
Innerhalb beider Grundtypen liegen die konkreten Ausgestaltungen und Über-
gangsformen, deren geschichtlich abgeschlossenen Resultate oder im positiven
Recht der Gegenwart ausgeprägten Darstellungen man als ‚kirchenpolitische
Systeme‘‘' bezeichnen kann. Dieser Art haben sich auf der Linie der Einheit
und Verbindung die kirchenpolitischen Systeme des Kirchenstaatstums, des
Staatskirchentums und des Staatschristentums entwickelt, auf der Linie der
Verschiedenheit und Lösung die Systeme der Koordination, der Staatskirchen-
hoheit und der Trennung von Staat und Kirche. Unter diesen Systemen hat
seit Ende des 18. Jahrhunderts je länger je bestimmter dasjenige der Kirchen-
hoheit des Staates, als die grundsätzlich auf der sachlichen Scheidung
der Zuständigkeitsgebiete beider Gemeinschaften beruhende Verhältnis-
ordnung von Staat und Kirche, den positiv rechtlichen Entwickelungsgang in
Deutschland bestimmt. Es ist hier auch heute das herrschende kirchen-
politische System.
Ich stelle in gedrängter Kürze eine Übersicht des geltenden Rechtszustandes
voran, um ihn nachfolgend geschichtlich zu erklären und prinzipiell zu er-
läutern.
I. Grundzüge des geltenden Rechts. Man bezeichnet mit Kirchen - Positiv-rechtliche
hoheit (Jus circa sacra) den Inbegriff der dem Staate als solchem auf dem Ye ie
Grunde seiner allgemeinen Staatshoheit über alle Kirchen- und Religions-
gesellschaften innerhalb des Staatsgebiets zukommenden Rechte. Diese gliedern
sich ihrem Inhalte nach zufolge einer bereits an den Westfälischen Frieden an-