Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

V. Kirchen und Staat. 3II 
selbst gewisse Vorrechte in Beziehung auf Strafrecht, Heeres- und Steuer- 
wesen verbunden sind. Die dritte Gruppe bilden die religiösen Vereine. 
Bayern kennt diese Kategorie von Religionsgesellschaften nicht. Wohl aber 
Preußen. Ihre Rechtsstellung bemißt sich hier nach dem Vereinsgesetz vom 
ıı. III. 1850 und älteren Vorschriften des Landrechts. Fehlt ihnen zwar die 
juristische Persönlichkeit, so ist ihnen doch in Preußen durch Art. ı2 der Ver- 
fassung allgemein das Recht der öffentlichen Religionsübung zugesichert. Die 
anderwärts noch immer bestehende, im älteren Reichsrecht wurzelnde Unter- 
scheidung von exercitium religionis publicum und privatum besteht also hier 
nicht, während in Bayern jede Religionsgesellschaft, welche nicht ausdrück- 
lich ‚als öffentliche aufgenommen“ ist, nur ‚‚die freie Ausübung des Privat- 
gottesdienstes‘‘ besitzt. Damit ist ausgedrückt, daß dem Kultus die nach 
Sitte und Recht gebildeten Zeichen oder Wirkungen der Öffentlichkeit (Kirchen- 
gebäude, Glocken, Einfluß der Sonn- und Festtagsfeier auf das bürgerliche 
und soziale Leben) versagt sind. Religionsgesellschaften, welche Korporations- 
rechte nicht besitzen, können solche nach der preußischen Verfassung Art. 13 
nur im Wege der Gesetzgebung erlangen. Diese Notwendigkeit ist für alle 
deutschen Staaten gleichen Rechtes ausdrücklich durch das E.G. zum BGB. 
Art. 84 aufrecht erhalten. Nach $ 24 des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908 
bleiben alle Vorschritten des Landesrechts über kirchliche und religiöse Vereine 
und Versammlungen unberührt. 
Mit diesem Reformationsrecht steht die zweite der genannten Äußerungen, Oberaufsichts- 
das Oberaufsichtsrecht des Staates, in einem leicht erkennbaren, den 
innerlich fortschreitenden Zweckgedanken der Kirchenhoheit offenbarenden 
Zusammenhang. Mit der Entscheidung über Zulassung einer Religionsgesellschaft 
und ihrer Anerkennung als öffentlicher oder Privatkorporation hat der Staat 
den religionsgesellschaftlichen Tatbestand innerhalb seines Gebietes geschaffen. 
Es handelt sich nunmehr erst um die nähere Bestimmung und Begrenzung 
ihrer Bewegungsfreiheit, sowie um Veranstaltungen, welche die Einhaltung 
dieser Grenzen sichern. Hier liegen die Funktionen des staatlichen Oberauf- 
sichtsrechts. Zu diesem Zwecke äußert es sich rechtsschöpferisch, richtend 
und regierend. Rechtsschöpferisch äußert es sich in der Staatskirchen- 
gesetzgebung, welche die materielle Verhältnisordnung zwischen dem Staat 
und den einzelnen Kirchengesellschaften normiert. Es äußert sich richtend 
darin, daß gegen Verletzung der gesetzlich geordneten Aufsicht die Rechts- 
hilfe der staatlichen Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit besteht. Es 
äußert sich endlich regierend durch fortlaufende administrative Aufsichts- 
übung über die zweckdienliche und ordnungsgemäße Ausführung des Staats- 
kirchenrechts. Diese administrative Aufsichtsübung bildet im besonderen Sinne 
den Inhalt des Jus inspiciendi cavendi. Die Organe dieser Aufsicht sind die 
staatlichen Verwaltungsbehörden in dem durch die Verwaltungsorganisation 
der Einzelstaaten geordneten Instanzenzug, an oberster Stelle die Kultus- 
ministerien. Das Sachgebiet der administrativen Aufsichtsübung umfaßt Sachgebiet der 
. . . . . Staatsaufsicht 
auf Grund und im Rahmen der staatlichen Aufsichtsgesetze im wesentlichen üver die Kirchen.
	        
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