V. Kirchen und Staat. 321
nossenschaften im privaten und öffentlichen Recht wie im politischen Leben;
namentlich zuletzt auch das Kirchenvermögen mit Rücksicht auf die bürgerlich
rechtliche Natur des Objektes an sich, auf das Staatsinteresse an der Erhaltung
des Kirchenvermögens und die staatlichen Aufwendungen für Kirchenzwecke
in den Kultusbudgets. Endlich 5. der Grundsatz der Advokatie, d. h. des
Schutzes und der Förderung des Kirchenwesens durch den Staat auf den in der
positiv rechtlichen Darstellung genannten Gebieten und mit den dort ver-
zeichneten Mitteln. Trotz der rechtlichen und notwendigen Unterordnung
unter den Staat setzt er durch die Betätigung der Advokatie die großen histo-
rischen Kirchen in ein Verhältnis ethischer Gleichordnung. In Gesetz-
gebung und Verwaltung, durch Privilegien, Staatszuwendungen, Sonn- und
Feiertagsschutz, strafrechtlichen Schutz, Beteiligung der Kirche an Aufgaben
der Staatspflege bringt der Staat seine hohe Wertschätzung der in den Kirchen
gelegenen geistlich idealen Kräfte, das Anerkenntnis der schlechthin öffent-
lichen Bedeutung von Kirchentum und Christentum für Staatsleben und Volks-
wohl zum Ausdruck. Eben hier findet auch im Rahmen des Systems der
Kirchenhoheit der unverlierbare Wahrheitsgehalt der christlichen Staatsidee
seine wahrhaft befriedigende Verwirklichung.
Diese Grundprinzipien des Systems der Kirchenhoheit bezeichnen auf der
universalgeschichtlichen Entwickelungslinie den ungefähren Ruhepunkt,
auf welchem gegenwärtig das positiv rechtliche Verhältnis von Staat und
Kirche in Deutschland sich befindet. Darüber hinaus geht von der Voraus-
setzung der Verschiedenheit beider nur noch das System der Trennung von
Staat und Kirche. Nach ihm sind auch diejenigen Beziehungen zwischen
beiden zu lösen, welche unter dem Systeme der Kirchenhoheit immerhin noch
einen weitgehenden Zusammenhang aufrechterhalten: Staatsaufsicht, Be-
teiligung der Kirchen an Aufgaben der Staatspflege, Advokatie. Die Kirche
als Freikirche ist nicht öffentliche Korporation, sondern Privatverein. Die
christliche Religion hat aufgehört, öffentliche Angelegenheit mit bestimmender
Einwirkung auf die staatliche Rechtsordnung zu sein. Aus der Kirchenhoheit
des Staates entlassen, treten die Kirchen lediglich unter die staatliche Vereins-
polizei. Alle Kirchen- und Religionsgesellschaften erscheinen dem Staate
Trennung
von Staat und
Kirche.
gegenüber als gleichwertige Größen. Daher finden auch Staatsleistungen für
kirchliche Beamte, Institute und Zwecke nicht mehr statt. Ebenso keine
organische Beteiligung der Kirche an ursprünglichen Aufgaben der Staats-
pflege. In Deutschland war vorübergehend das System das Zugprogramm
der Kirchenpolitik von 1848. Aber es fehlen hier zurzeit noch vollkommen die
geschichtlichen und prinzipiellen Voraussetzungen seiner Verwirklichung. Voll-
kommen ist es nirgends, teilweise höchst widerspruchsvoll durchgeführt.
Ersteres gilt auch für Nordamerika, das angeblich klassische Land seiner Nordamerika.
Verwirklichung. So bestehen Ausnahmen hinsichtlich des Einflusses der
Religionsangehörigkeit auf die bürgerlichen Pflichten, z. B. Möglichkeit der
Geldablösung der Militärpflicht aus religiösen Gründen. Die Sonn- und Feier-
tagsordnung ist teils im Sinne des Staatschristentums durch strenge Verbote,
Kultur der Gegenwart. II. 8. 2. Aufl. 21