Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

V. Kirchen und Staat. 323 
wechsel. Gewiß ist nur, daß auch die Trennung von Staat und Kirche in Frank- 
reich ein Vorbild für den Gang der Kirchenpolitik in Deutschland in irgend 
welchem Sinne nicht abgeben kann. 
Für Deutschland ist die Zeit der Trennung von Staat und Kirche jeden- 
falls nicht vorhanden. Prinzipielle Bedenken, d. h. solche, welche sich gegen 
das System überhaupt richten, stelle ich bei diesem Urteil zurück. Über sie 
wird man nicht leicht zur Verständigung kommen. Sie beziehen sich vor- 
nehmlich darauf, daß der Staat die Einbuße an Kirchenhoheit, welche mit einer 
korrekt durchgeführten Trennung notwendig verbunden ist, nicht ertragen 
kann, ohne sein Wesen zu verleugnen und seine Selbständigkeit preiszugeben; 
zumal nicht der paritätische Staat, der sich in dieser Hinsicht in ungleich 
schwierigerer und verantwortungsvollerer Lage befindet, als der ausschließliche 
oder fast ausschließlich konfessionelle Staat. Sodann erstrecken sich prinzipielle 
Bedenken auch darauf, daß die großen historischen Kirchen ohne weitest- 
gehende Gefahren nicht durch Rechtssatz künstlich zu Privatvereinen gemacht 
werden können, d. h. zu etwas, was sie nach Wesen und Bestand, nach Zweck 
und Bedeutung nicht sind und nicht sein können. Bei dem an sich schlechthin 
öffentlichen Charakter des Kirchenwesens in Deutschland erträgt dieses nicht 
den Rechtszwang einer Form, welche seinem Geiste widerstrebt. Die Phrase 
von der Religion als Privatsache hat ihre Geltung im Gebiet der individuellen 
Gewissensfreiheit, sie hat aber keine Wahrheit im Verhältnis der Religion zur 
Gesamtheit von Staat und Volk. 
Aber von prinzipiellen Gründen auch abgesehen bestehen für Deutschland 
geschichtlich bedingte tatsächliche Hindernisse, welche nahezu un- 
überwindlich der Trennung von Staat und Kirche auf unabsehbare Zeit ent- 
gegenstehen. 
Das erste liegt im bundesstaatlichen Verhältnis von Reich und 
Deutsche Reich. 
Einwirkung 
des bundesstast- ' 
Einzelstaaten. Unser Staatskirchenrecht ist seit Entstehung der Landeshoheit jchen Verhält- 
in seinem wesentlichen Bestande partikuläres Recht. Diesen Charakter hat es 
reichsverfassungsmäßig behalten. Wohl kann es geschehen und geschieht, daß, 
wie schon einleitend hervorgehoben, die Reichsgesetzgebung kraft ihrer Zu- 
ständigkeit über bürgerliches Recht, Strafrecht, Prozeß, Militär-, Gewerbe-, 
Vereinswesen u. a. derogierend oder positiv ordnend eingreift in den Bestand 
des Landeskirchenrechts. Aber überall ist dies eine mittelbar wirksame, nicht 
eine unmittelbar verfassungsmäßige Reichskompetenz in Religionssachen. Die 
Versuche, eine solche zu begründen, sind seit dem konstituierenden Reichstage 
bis zu den jüngsten Verhandlungen über den Toleranzantrag stets gescheitert 
an dem grundsätzlichen Verhältnis von Reich und Einzelstaaten. Aber selbst 
wenn es der Macht einer politischen Partei gelänge, eine teilweise unmittelbare 
Reichskompetenz für einzelne paritätische Rechtsverhältnisse durchzusetzen, 
so liegt darin noch lange kein Beweismoment für die reichsgesetzliche Durch- 
führbarkeit der Trennung von Staat und Kirche. Denn bei ihr handelt es sich 
um etwas unvergleichlich anderes. Sie würde die grundsätzliche, die totale und 
radikale Beseitigung des bestehenden Landeskirchenrechts bedingen. Kein 
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nisses.
	        
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