Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

A. Reich u. Einzelstaat. III. Das Gebiet d. Reiches. IV. Die Reichsangehörigkeit. 337 
auch kein Gebiet des Bundes, welches nicht Gebiet eines Staates ist. Die RV. 
kennt keine Reichsländer. Dieser Grundsatz ist aber sogleich nach Gründung 
des Reiches durch den Erwerb von Elsaß-Lothringen durchbrochen worden 
(s. unten). Das Bundesgebiet bildet in den Reichsgesetzen den Gegensatz zum 
Ausland; auswärtigen Staaten gegenüber ist es der einheitliche Machtbereich 
des Bundes; hinsichtlich der Paßpflicht, Zollpflicht, Ein- und Ausfuhrverbote usw. 
sind seine Auslandsgrenzen maßgebend. Die Binnengrenzen der Staaten haben 
ihre Bedeutung aber für die Ausübung der Landesstaatsgewalt in Gesetzgebung, 
Verwaltung und Rechtsprechung bewahrt. Gebiete, die bisher Ausland waren, 
können nur durch ein Reichsgesetz dem Bundesgebiet einverleibt werden 
(Elsaß-Lothringen, Helgoland); ebenso ist die Zustimmung des Reiches erfor- 
derlich, wenn ein Gliedstaat einen Teil seines Gebietes einem auswärtigen Staat 
abtreten will (Gebietsaustausch zwischen Baden und der Schweiz 1879 und 
zwischen Preußen und Österreich und Dänemark 1902); dagegen können die 
Staaten ihre Binnengrenzen abändern ohne der Genehmigung des Reiches 
dazu zu bedürfen, was in sehr zahlreichen Fällen geschehen ist (sog. Grenz- 
regulierungen). 
IV. Die Reichsangehörigkeit. Das für das Gebiet geltende Grund- 
prinzip ist auch für die Reichsangehörigkeit maßgebend. Wer Bürger eines 
zum Reich gehörenden Staates ist, ist zugleich ipso jure Reichsbürger und nie- 
mand kann Reichsangehöriger sein, ohne einem deutschen Einzelstaat anzu- 
gehören. Eine Ausnahme von diesem letzteren Grundsatz ist nur für die Ange- 
hörigen der deutschen Schutzgebiete durch das Reichsgesetz vom 15. März 1888, 
86, gemacht worden; ihnen kann die Reichsangehörigkeit verliehen werden, 
ohne daß sie in einem deutschen Staat das Staatsbürgerrecht erwerben. Die 
Zugehörigkeit zum Schutzgebiet ersetzt in diesem Falle die Angehörigkeit zu 
einem deutschen Staat. Das Reichsland ist in dieser Hinsicht einem Einzel- 
staat gleichgestellt. Das Staatsbürgerrecht ist das primäre Verhältnis und zieht 
ohne weiteres, das Reichsbürgerrecht nach sich, und wer keinem deutschen 
Staate mehr angehört, hört auch zugleich auf reichsangehörig zu sein. Daher 
müssen in allen Staaten übereinstimmende Regeln über den Erwerb und Verlust 
des Staatsbürgerrechts gelten. Diese Regelung ist erfolgt durch das Reichs- 
gesetz vom 1. Juli 1870. Danach wird die Staatsangehörigkeit erworben teils 
aus familienrechtlichen Gründen, durch Geburt, Legitimation und Verheiratung, 
teils durch Verleihung. Wenn ein Angehöriger eines Bundesstaates sich in einem 
anderen Bundesstaate niedergelassen hat, so muß ihm auf sein Verlangen in 
diesem Bundesstaat die Angehörigkeit erteilt werden, falls kein gesetzlicher 
Grund zu einer Abweisung aus diesem Staatsgebiet vorliegt; die Verleihung wird 
als Aufnahme bezeichnet. Wenn dagegen ein Reichsfremder die Verleihung 
nachsucht, die in diesem Falle Naturalisation heißt, so darf sie ihm nur 
erteilt werden, wenn die im $ 8 des Reichsgesetzes aufgeführten Voraussetzungen 
gegeben sind (Dispositionsfähigkeit, Unbescholtenheit, eigene Wohnung oder 
Unterkommen und Fähigkeit, sich und seine Angehörigen zu erhalten). Wenn 
Kultur der Gegenwart. II. 8. 2. Aufl. 22 
% 
Erwerb der 
Staatsangehörig- 
keit.
	        
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