Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

340 PAUL LABAND: Staatsrecht. 
den Angelegenheiten, welche nach der RV, zur Kompetenz des Reichs gehören 
und denjenigen, für welche die Einzelstaaten zuständig sind. Darin lag der Keim 
zu einer fortwährenden Abschwächung der aus dem Reichslandsbegriff sich 
ergebenden Folgen und zu einer Annäherung der rechtlichen Stellung des Reichs- 
landes an die der Bundesstaaten. In finanzieller Beziehung wurde das Reichs- 
land seit der Vereinigung mit dem Reich den Bundesstaaten vollkommen gleich- 
gestellt und die Landeskasse und das Landesvermögen wurden von dem Reichs- 
fiskus und dem Reichsvermögen getrennt. Der oberste Chef der Ver- 
waltung war nach der RV. zwar der Reichskanzler als der Minister des Kaisers, 
auf Grund des Verwaltungsgesetzes vom 30. Dezember 187186 übertrug er aber 
die Ministerialgeschäfte für das ganze Gebiet der inneren Verwaltung auf den 
Oberpräsidenten, welchem zu diesem Zwecke in dem Oberpräsidium eine 
umfangreiche Behörde beigegeben war; dadurch wurde die unmittelbare Unter- 
ordnung der Landesbehörden unter den Reichskanzler durchbrochen, die Ver- 
waltung von einer ‚„Landesbehörde‘‘ geführt und der der Bundesstaaten ange- 
nähert. Die in der Rechtsprechung und Verwaltung des Reichslandes ange- 
stellten Beamten waren eine Kategorie von Reichsbeamten, das Reichsbeamten- 
gesetz wurde aber als Landesgesetz eingeführt und konnte durch ‚Landes- 
gesetz‘' verändert und ergänzt werden. Sogar das Gesetz über den Erwerb und 
Verlust der Staatsangehörigkeit wurde in Elsaß-Lothringen eingeführt, indem 
man fingierte, daß Elsaß-Lothringen ein Staat sei. Für die Gesetzgebung, 
auch in sog. Landesangelegenheiten, galten seit dem Inkrafttreten der RV. die 
Regeln, welche diese für die Reichsgesetzgebung aufstellt; allein schon 1874 wurde 
einLandesausschuß zur gutachtlichen Beratung von Landesgesetzen gebildet 
und durch das RG. vom 2. Mai 1877 wurde er zu einer Volksvertretung erhoben, 
indem die Zustimmung des Reichstages durch die des Landesausschusses ersetzt 
wurde. Dadurch hörte die Identität von Reichs- und Landesgesetzgebung auf. 
Das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 brachte eine weitere Entwickelung der 
Verfassung des Reichslandes. Das Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen 
und das Oberpräsidium wurden aufgelöst und ein Ministerium für Elsaß- 
Lothringen in Straßburg errichtet, an dessen Spitze ein Staatssekretär steht. 
An die Stelle des Reichskanzlers wurde ein Statthalter, dessen Residenz in 
Straßburg ist, eingesetzt, welchem der Kaiser auch landesherrliche Befugnisse 
übertragen kann. Der Landesausschuß erhielt alle Rechte in vollem Um- 
fange, welche in konstitutionellen Staaten der Volksvertretung zuzustehen 
pflegen. Abgesehen von dem entscheidenden Punkte, daß in Elsaß-Lothringen 
keine selbständige Staatsgewalt errichtet wurde, sondern der Kaiser als Organ 
und im Namen des Reichs die Staatsgewalt ausübte, machte sich die Reichs- 
landseigenschaft nur noch geltend in der fortdauernden Mitwirkung des Bundes- 
rats an der Landesgesetzgebung, an der subsidiären Zuständigkeit des Reichs- 
tages zur Landesgesetzgebung und Entlastung, von der tatsächlich niemals 
Gebrauch gemacht worden ist und an dem Mangel von Stimmen im Bundesrat. 
Durch das Reichsgesetz vom 31. Mai 1ı9II wurden auch diese Überreste 
der Reichslandseigenschaft beseitigt. Die Teilnahme des Bundesrats an der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.