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den Parteiführern, sondern vom Kaiser besetzt. Dies ist die Garantie einer un-
parteiischen, gesetzmäßigen Verwaltung.
Der Reichstag als die Vertretung des gesamten deutschen Volkes sollte
nach der Absicht Bismarcks ein Gegengewicht gegen den Partikularismus der
Regierungen der Bundesstaaten sein; dies ist — wenn auch nicht vollständig —
erreicht worden; dafür ist aber der Partikularismus der Fraktionen groß ge-
zogen worden. Nachdem die beiden großen politischen Ziele, die bundesstaat-
liche Einigung der deutschen Staaten und die Durchführung des konstitutionellen
Systems erreicht worden sind, ist an die Stelle der politischen Kämpfe der Wider-
streit der wirtschaftlichen Interessen der sozialen Klassen getreten, dessen
Schauplatz die Gewerbegesetzgebung und die Verteilung der finanziellen Lasten
ist. Auf diesem Gebiet finden Haß, Neid und Eigennutz der Parteien reichlich
Gelegenheit sich zu entfalten.
Der Reiche IV. Die Reichsbehörden. Nach Art. ı7 der RV. bedürfen alle An-
“ ordnungen und Verfügungen des Kaisers zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung
des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.
Hiernach ist der Reichskanzler der einzige und alleinige Minister des Kaisers;
es gibt kein Ressort der Reichsverwaltung, dessen oberster Chef nicht der Reichs-
kanzler wäre. Eine Durchbrechung hat dieses Prinzip jedoch erfahren durch
das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 $ 2 hinsichtlich des Statthalters in Elsaß-
Lothringen. Außerdem ist der Reichskanzler preußischer Bevollmächtigter
im Bundesrat und hat als solcher den Vorsitz und die Leitung der Geschäfte
des Bundesrats. Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, von welcher
Art. 17 der RV. spricht, bezieht sich nur auf seine Tätigkeit als Reichsminister,
nicht als Bundesratsbevollmächtigter; sie ist bisher nicht zu einem Rechts-
institut gestaltet, denn es fehlt an Anordnungen, worauf sie sich erstreckt, wer
befugt ist, sie geltend zu machen, welches Verfahren dabei einzuhalten ist,
welche Wirkungen mit ihr verknüpft sind.
we Buell Die verantwortliche Stellvertretung des Reichskanzlers wurde durch das
Reichsgesetz vom 17. März 1878 geregelt. Das Gesetz läßt zwei Arten von ver-
antwortlichen Stellvertretern zu, einen Generalstellvertreter für den gesamten
Umfang der Geschäfte des Reichskanzlers und Ressortstellvertreter für die-
jenigen einzelnen Amtszweige, welche sich in der eigenen und unmittel-
baren Verwaltung des Reiches befinden. Zu solchen können nur die Vorstände
der obersten Reichsbehörden für ihren Geschäftskreis ernannt werden; die
Bestellung der Ressortstellvertreter ist zu einer dauernden Einrichtung des
Reiches geworden.
Die Reichsämter. Für die dem Bundeskanzler obliegenden Geschäfte wurde durch den Präsi-
dialerlaß vom 12. August 1867 eine Behörde unter dem Namen ‚Bundes-
kanzler-Amt‘' errichtet, welche anfangs drei Abteilungen (Zentralabteilung,
Post, Telegraphie) umfaßte. Sodann wurden schon im Norddeutschen Bunde
die preußischen Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten und der Marine-
angelegenheiten auf den Bundesetat übernommen und zu Bundesbehörden