D. Die Reichsverwaltung. I. Die auswärtigen Angelegenheiten. 351
wie jede Abänderung eines Gesetzes, d. h. an die Beobachtung des Gesetzgebungs-
weges. Diese Unterscheidung wird auch in der RV. Art. ıı gemacht. Nach
Abs. ı daselbst hat der Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten... .. und
Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen; nach Abs. 3
aber bedürfen solche Verträge, wenn sie in den Bereich der Reichsgesetzgebung
eingreifen, zu ihrem Abschluß der Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer
Gültigkeit der Genehmigung des Reichstages. Ob durch diese Bestimmung die
völkerrechtliche Legitimation des Kaisers zum Abschluß solcher Verträge be-
schränkt wird, ist bestritten, aber aus überwiegenden Gründen zu verneinen.
Es ergibt sich aber aus dem Abs. 3 die Rechtspflicht des Kaisers, vor dem defini-
tiven Abschluß des Vertrages die Zustimmung des Bundesrats und die Genehmi-
gung des Reichstages einzuholen, um jede Kollision zwischen der völkerrecht-
lichen Verbindlichkeit und der staatsrechtlichen Vollziehbarkeit des Vertrages
zu verhüten. Dem entspricht auch die Praxis; denn der definitive Abschluß
des Vertrages, welcher durch die Auswechselung der sog. Ratifikationsurkunden
erfolgt, findet erst statt, nachdem der Vertragsentwurf die verfassungsmäßige
Genehmigung erhalten hat. Die Ratifikationsurkunde wird vom Kaiser unter-
zeichnet, vom Reichskanzler gegengezeichnet. Zur staatsrechtlichen Wirksam-
keit ist die ordnungsmäßige Verkündigung des Staatsvertrages im Reichsgesetz-
blatt erforderlich, die freilich in einer sehr inkorrekten Weise erfolgt. Die in
Preußen vor 1848 übliche Form der Verkündigung ist nach Einführung der kon-
stitutionellen Verfassung in Preußen beibehalten worden und in den Nord-
deutschen Bund und aus diesem in das Deutsche Reich übergegangen,
IV. Die Verwaltungsverordnungen des Bundesrats. (Über diese
s. oben S. 335, 344).
D. Die Reichsverwaltung.
I. Die auswärtigen Angelegenheiten. Es besteht nach der RV.
ein Unterschied zwischen dem Gesandtschaftsrecht und dem Konsulatwesen.
Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten und demgemäß die Be-
fugnis, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Aber die RV. enthält kein
Verbot für die Einzelstaaten, mit fremden Staaten oder unter sich einen diploma-
tischen Verkehr zu unterhalten und Gesandte zu entsenden oder zu empfangen.
Sie können auch neben der Reichsgesandtschaft eine Landesgesandtschaft
errichten; nur für Preußen ist dies wegen der Personenidentität des Kaisers und
Königs nicht möglich, jedenfalls nicht erforderlich. Die Reichsgesandtschaften
haben nicht nur die Gesamtinteressen des Reiches, sondern auch die Rechte
und Interessen aller Einzelstaaten und ihrer Angehörigen wahrzunehmen; wenn
aber an demselben Hofe eine Reichsgesandtschaft und eine Landesgesandtschaft
besteht, so liegt der letzteren zunächst die Vertretung der Sonderinteressen
des Einzelstaates, seines Souveräns und seiner Angehörigen ob. Alle Angelegen-
heiten, welche gemeinschaftliche des Reiches sind, gehören ausschließlich zu
dem Geschäftskreise der Reichsgesandten.