Rechtshilfe.
Grundprinzipien.
354 PAUL LABAND: Staatsrecht.
Kraft der zur Erledigung der Prozesse erforderlichen richterlichen Gebote oder
Verbote an Personen, die sich im Bundesgebiete befinden. Mithin übt jeder
einzelne Staat eine Gerichtsbarkeit über das ganze Bundesgebiet nach Maßgabe
der reichsgesetzlichen Vorschriften aus. Auch das Begnadigungsrecht haben
die Einzelstaaten, soweit es nicht durch spezielle Vorschriften der Reichsgesetze
dem Kaiser eingeräumt worden ist. In jeder Strafsache kann immer nur ein
deutscher Staat begnadigungsberechtigt sein, und zwar ist es immer derjenige,
dessen Gericht erster Instanz in der Sache das Urteil gesprochen hat. Der Be-
gnadigungsakt des zuständigen Staates erstreckt seine Wirksamkeit über das
ganze Reichsgebiet.
Es besteht ferner für alle Gerichte des Bundesgebietes die Verpflichtung,
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen, auch in den bei den
Militärgerichten anhängigen, sowie in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit sich gegenseitig Rechtshilfe zu leisten, ohne daß es einen Unterschied
macht, ob das ersuchende und das ersuchte Gericht demselben Bundesstaate oder
ob sie verschiedenen Bundesstaaten angehören. Diese Verpflichtung ist auch
erstreckt worden auf die Anträge der Seeämter, Gewerbegerichte, der Kauf-
mannsgerichte, des Patentamtes, der Konsular- und Schutzgebietsgerichte,
der Behörden der sozialen Versicherung und anderer Behörden. Ein Gericht
darf Amtshandlungen außerhalb seines Bezirks regelmäßig nicht vornehmen;
wenn daher in einem Verfahren eine richterliche Handlung erforderlich wird,
welche in einem anderen Gerichtsbezirk vorzunehmen ist, so muß das Gericht
dieses anderen Bezirks um die Vornahme der Handlung ersucht werden. Die
Bundesstaaten sind verpflichtet, die gerichtliche Rechtshilfe einander unent-
geltlich zu leisten.
IV. Das Reichskriegswesen. Auch hier ist es nicht möglich, den
reichen Inhalt der vielen umfangreichen Gesetze desReiches auch nur summarisch
wiederzugeben, sondern die Darstellung muß sich auf die verfassungsrechtlichen
Grundprinzipien beschränken. Die bewaffnete Macht des Reiches zerfällt in
zwei große Bestandteile, das Heer und die Kriegsmarine, für welche sehr ver-
schiedene staatsrechtliche Grundprinzipien maßgebend sind. Der Grund dieser
Verschiedenheit ist ein historischer; er liegt in den Verhältnissen, welche der
Norddeutsche Bund und das Reich bei ihrer Gründung vorgefunden haben.
Kein Staat, außer Preußen, hatte ein Kriegsflotte, dagegen hatte jeder sein
eigenes Militärwesen. Infolgedessen besteht hinsichtlich der Kriegsmarine der
Grundsatz, daß sie eine reine Reichseinrichtung ist, bei welcher die Verwaltungs-
befugnisse der Einzelstaaten völlig ausgeschlossen sind; sie ist kraft innerer
Notwendigkeit eine einheitliche. Für das Heer dagegen besteht das Kontingent-
system; jeder Staat hat nach der RV. seine eigenen Truppen und das Reich hat
abgesehen von den Schutztruppen keine Truppen, die nicht Truppen der Einzel-
staaten wären. Diese Landestruppen sind aber zu einem „einheitlichen‘‘ Heer
zusammengefaßt, indem sie gleichmäßig organisiert und bewaffnet sind, im
Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaisers stehen und die gesamten Kosten