D. Die Reichsverwaltung. IV. Das Reichskriegswesen. 355
gemeinschaftlich von den Bundesstaaten, also aus Reichsmitteln, getragen
werden. Die Militärhoheitsrechte sind daher zwischen dem Reich und den
Einzelstaaten verteilt; den Organen des Reiches steht zu die Militärgesetz-
gebung, der Oberbefehl, die Feststellung des Rekrutenbedarfs und des Militär-
etats; den Einzelstaaten die Kontingentsherrlichkeit, die Militärverwaltung und
die Militärgerichtsbarkeit (ausgenommen in dritter Instanz).
Von diesen in der RV. gezogenen und in einzelnen Punkten modifizierten Tatsächlicher
oder näher bestimmten Grundlinien weicht aber der tatsächlich bestehende
Zustand erheblich ab. In Preußen und in Elsaß-Lothringen sind die kaiserlichen
und die landesherrlichen Rechte in einer Person vereinigt; Bayern hat ein weit-
reichendes Sonderrecht, indem die bayerischen Truppen im Frieden dem Ober-
befehl des Kaisers nicht unterstellt sind; die übrigen Staaten, mit Ausnahme
von Sachsen und Württemberg, haben durch Militärkonventionen ihre Kontin-
gente dem preußischen angegliedert und ihre militärischen Hoheitsrechte dem
König von Preußen zur Ausübung übertragen. Der verfassungsmäßige Nor-
malzustand besteht daher nur in Sachsen und Württemberg, und auch mit diesen
beiden Staaten sind durch Militärkonventionen einzelne Abweichungen von den
Bestimmungen der RV. festgesetzt worden. Das Reichsheer besteht daher aus vier
Kontingenten, dem preußischen, sächsischen, württembergischen und bayerischen.
Die Einheitlichkeit des Rechtes ist für alle Kontingente durch zahl- Mititärrecht.
reiche Militärgesetze in allen Beziehungen hergestellt worden, namentlich hin-
sichtlich der Wehrpflicht, des Ersatzes an Mannschaften und Offizieren, der
Rechtsverhältnisse der Militärpersonen, der Pensionen, des Militärstrafrechts
und Strafprozesses, der Friedens- und Kriegsleistungen usw.
Den Befehlen des Kaisers sind alle deutschen Truppen unbedingte Kaiserlicher
Folge zu leisten verpflichtet, und diese Verpflichtung ist in den Fahneneid auf-
zunehmen. Der Kaiser ist berechtigt, den Höchstkommandierenden eines
Kontingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents
befehligen, und alle Festungskommandanten zu ernennen. Er hat das Recht der
Inspektion und kann die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anordnen.
Er hat unter Innehaltung der reichsgesetzlich bestehenden Vorschriften den
Präsenzstand, die Gliederung und Einteilung der Kontingente des Reichsheeres
zu bestimmen. Dies erstreckt sich auch auf die Landwehr mit der Maßgabe,
daß die Einteilung des Bundesgebietes in 24 Armeekorpsbezirke als Grundlage
zu dienen hat. Die Kriegsformation des Heeres und die Organisation des Land-
sturms bestimmt der Kaiser, ohne daß er hierbei gesetzlichen Einschränkungen
unterliegt. Er hat das Recht, die Garnisonen der einzelnen Truppenkörper
innerhalb des ganzen Bundesgebietes zu bestimmen; in den Militärkonventionen
sind aber über die Ausübung dieses Rechtes den meisten Staaten bestimmte
Zusicherungen erteilt worden. Der Kaiser hat endlich das Recht, die kriegs-
bereite Aufstellung eines jeden Teiles des Reichsheeres anzuordnen, die Reserve,
Landwehr und Seewehr, sowie den Landsturm zu den Fahnen einzuberufen und
einen jeden Teil des Bundesgebiets, falls die öffentliche Sicherheit bedroht ist,
in Kriegszustand zu erklären.
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