Keine Teilung
der Gewalten.
362 PAuL LABAND: Staatsrecht.
machung der subjektiven Rechte der privilegierten Stände, der Kirchen, Klöster,
Grundherren, adligen Gutsbesitzer und Kommunen zu einem Organ des staat-
lichen Gemeinwesens, zu einer Volksvertetung sich umgewandelt hat. Unter
der Einführung der konstitutionellen Verfassungsform verstand man vorzugs-
weise die Umbildung der alten Stände in eine Volksvertretung und die Regelung
ihrer Zusammensetzung und ihrer Befugnisse. Die Volksvertretung ist nicht
Träger der Staatsgewalt; sie hat auch keinen Anteil an derselben; sie hat keine
obrigkeitlichen Herrschaftsrechte über die Staatsangehörigen; sie kann den
staatlichen Willen nicht zur Ausführung bringen; aber sie beschränkt den
Landesherrn in der Ausübung der Regierungsrechte, indem er an ihre Mit-
wirkung, Bewilligung und Kontrolle gebunden ist.
Es gibt daher in den deutschen Staaten keine Teilung der Gewalten im
Sinne der von Montesquieu begründeten, weitverbreiteten und namentlich in der
nordamerikanischen Verfassung scheinbar verwirklichten Theorie. Die Staats-
gewalt ist einheitlich und unzerstückelt. Aber die Funktionen der Staats-
gewalt sind ihrer Eigenart entsprechend an verschiedene Organe verteilt und
an verschiedene Formen gebunden. Wenn der Monarch unter der Mitwirkung
oder Zustimmung der Volksvertretung handelt, gleichviel ob er dazu verfassungs-
rechtlich genötigt ist oder freiwillig die Zustimmung einholt, bezeichnet man
diese Form der staatlichen Willensäußerung als Gesetz und den Landtag als
den gesetzgebenden Körper und stellt dem Bereich, in welchem der Landesherr
allein Regierungsakte vorzunehmen befugt ist, die gesetzgebende Gewalt und
ihre Sphäre gegenüber. Da es ferner ein allgemein empfundenes Bedürfnis und
eine für die Rechtsordnung und den Rechtsschutz unentbehrliche Sicherung
ist, daß die Gerichte unabhängig von Anordnungen der Regierungsbehörden
nach eigener freier Überzeugung entscheiden, so faßt man die den Gerichten
übertragenen Funktionen mit Rücksicht auf diese Unabhängigkeit als die
richterliche Gewalt zusammen. Endlich bezeichnet man die übrigen staatlichen
Funktionen, die Ausführung der Gesetze, die Verwaltung der staatlichen Ge-
schäfte als die exekutive oder administrative Gewalt. Eine objektive Abgrenzung
der staatlichen Funktionen und eine Einteilung der staatlichen Tätigkeiten
wird dadurch aber in keiner Weise gegeben. Zum Inhalt eines Gesetzes kann
alles gemacht werden, was nur überhaupt denkbarerweise Gegenstand eines
staatlichen Willensaktes sein kann; nichts ist von dieser Form ausgeschlossen.
Die gesetzgebende Gewalt ist daher ein unbegrenzter und deshalb nichts-
sagender, inhaltsloser Begriff. Ebenso kann den Gerichten alles zugewiesen,
alles entzogen werden; sie haben auch in der Tat nicht bloß Entscheidungen zu
fällen, sondern massenhaft Verwaltungsgeschäfte zu erledigen, während ander-
seits zahlreiche Rechtsstreitigkeiten vom Rechtsweg ausgeschlossen sind. Auch
kann man jede Behörde gesetzlich als Gericht bezeichnen, wenngleich ihre
Zusammensetzung und ihr Verfahren geringe Garantien der Unabhängigkeit
bieten. Der Begriff der richterlichen Gwalt ist daher ebenfalls inhaltslos und
nichtssagend. Das gleiche gilt demzufolge auch von dem übrigbleibenden Rest
der staatlichen Tätigkeit, der sog. Exekutive oder Verwaltung.