Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

E. Das Landesstaatsrecht. III. Der Landtag. 365 
daß der Abgeordnete an Instruktionen nicht gebunden ist, findet dies Aus- 
druck. 
Der Landtag hat kein imperium, keinen Anteil an der Staatsgewalt; er 
kann niemandem etwas befehlen oder verbieten; er kann den Staat in keinem 
Falle vertreten. Der Landtag kann nur Beschlüsse fassen, aber sie nicht 
zur Ausführung bringen. Diese Beschlüsse sind nicht an die Untertanen ge- 
richtet, sondern — von einzelnen Ausnahmefällen, namentlich Wahlprüfungen, 
Ministeranklagen, Wahl eines Regenten, abgesehen — immer an den Landes- 
herrn oder die Regierung adressiert. Der Landtag erklärt dem Landesherrn 
die Zustimmung zu Gesetzen; richtet an den Landesherrn oder die Regierung 
Bitten, Beschwerden, Adressen, Anfragen; erteilt der Regierung die Entlastung. 
Den Untertanen gegenüber haben die Beschlüsse des Landtags an und für sich 
gar keine Rechtswirkung, aber sie sind die verfassungsmäßige notwendige Vor- 
bedingung für gewisse Regierungsakte des Landesherrn, insbesondere für Gesetze. 
Da der Landeshaushaltsetat im Wege der Gesetzgebung festgestellt wird, so 
erstreckt sich der Einfluß des Landtags auf die gesamte Verwaltung, soweit sie 
mit Einnahmen und Ausgaben verbunden ist; und auch soweit sie dies nicht ist, 
unterliegt sie der Kritik und Kontrolle des Landtags. Hierin liegt eine wichtige 
und wertvolle Garantie nicht nur gegen eine parteiische und gesetzwidrige Ver- 
waltung, sondern auch gegen den Eigensinn, Schlendrian und anderen Unfug 
der Bureaukratie. 
Der Landtag besteht in Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Zusammen- 
Hessen und Elsaß-Lothringen aus zwei Kammern (Häusern), in den übrigen *"® 
Staaten aus einem Kollegium. Wo das Zweikammersystem besteht, beschließt 
jede Kammer selbständig für sich, und zu einem Landtagsbeschluß ist ein über- 
einstimmendes Votum beider Kammern erforderlich. Ausnahmsweise werden 
für gewisse Beschlüsse beide Kammern zu einer gemeinschaftlichen Sitzung 
vereinigt. In den inneren Angelegenheiten beschließt jedes Haus selbständig 
für sich. Für die Zusammensetzung der Kammern fehlt es an einer gemein- 
rechtlichen historischen Grundlage; die Rechte der Einzelstaaten weichen sehr 
von einander ab. Die zweite Kammer wird überall durch Wahlen gebildet; doch 
treten in einzelnen Staaten Mitglieder des Landadels, Vertreter der Höchst- 
besteuerten hinzu usw. Das Wahlrecht ist sehr verschieden gestaltet. Bald ist 
es ein allgemeines, gleiches, bald — wie in Preußen — nach Klassen abgestuft 
oder durch die Entrichtung einer direkten Steuer von gewisser Höhe, Wohnsitz 
von gewisser Dauer usw. bedingt. Bald erfolgt die Wahl öffentlich zu Protokoll, 
bald geheim durch Stimmzettel. Die Wahl ist in einigen Staaten, namentlich 
in Preußen, eine indirekte, durch sog. Wahlmänner vermittelte, in den meisten 
Staaten jetzt eine direkte. Am Ende der Legislaturperiode findet in manchen 
Staaten eine Totalerneuerung statt, in anderen scheidet periodisch die Hälfte 
oder ein Drittel der Mitglieder aus. Die ersten Kammern bestehen in der Regel 
aus erblichen oder lebenslänglichen Mitgliedern, doch treten in einigen Staaten 
auf Zeit gewählte Vertreter hinzu. Mitglieder sind die großjährigen Prinzen des 
landesherrlichen Hauses, die im Staatsgebiet mit Grundbesitz angesessenen
	        
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