Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Justiz und Verwaltung. Einleitung. 373 
das heißt: die Einheit der Staatsgewalt schließt es nicht aus, daß man die mannig- 
fachen Richtungen und Formen, in denen diese Gewalt tätig wird, gruppen- 
weise ordnet. Die verschiedensten Einteilungen sind möglich, Anspruch auf 
Alleinrichtigkeit hat keine von ihnen. Doch hat eine von ihnen wegen ihrer 
Übersichtlichkeit und wegen ihres nicht nur wissenschaftlichen, sondern poli- 
tischen Wertes seit langem eine besondere Beliebtheit in der Theorie und, was 
mehr ist, einen tiefgehenden Einfluß auf die wirkliche Gestaltung der Staats- 
einrichtungen zu verzeichnen: das ist die Dreiteilung der Staatsgewalt in die 
Grundfunktionen Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung. 
Die Staatsgewalt als gesetzgebende Gewalt stellt allgemeine Normen Gesetzgebung. 
auf, nach denen jeder, den sie angehen, sich zu richten hat, und die auch für 
die Organe der beiden anderen Staatsfunktionen, für die Gerichte und die Ver- 
waltungsorgane, schlechthin verbindlich und unverbrüchlich sind. Die gesetz- 
gebende Gewalt ist die Staatsgewalt in ihrer höchsten Machtfülle: als Justiz und 
als Verwaltung steht der Staat unter, als Gesetzgeber steht er über dem Recht. 
Die Staatsgewalt als Justiz — richterliche Gewalt — entscheidet über die Justiz. 
Streitfälle, welche sich bei Anwendung jener Normen, der Gesetze, ergeben. 
Endlich ist das Wesen der Verwaltung — vollziehenden Gewalt — dieses: Verwaltung. 
Erfüllung der staatlichen Aufgaben und Zwecke in handelnder Betätigung des 
Staatswillens. Verwaltung ist die innerhalb der Schranken des Gesetzes, zu- 
weilen auch in bloßem Vollzuge gesetzgeberischer Anordnungen sich bewegende 
zweckbewußt handelnde Staatstätigkeit. 
Die Bezeichnung der drei Grundfunktionen als ‚„Gewalten‘‘ (pouvoirs, 
puissances, powers) entstammt der dogmatischen Grundfestigung der Teilungs- 
lehre durch Montesquieu (Esprit des Lois, 1748: pouvoir legislatif, pouvoir 
[puissance] de juger, pouvoir ex&cutif [puissance ex&cutrice]) und beherrscht 
seitdem nicht nur den wissenschaftlichen, sondern auch den gesetzgeberischen 
Sprachgebrauch aller Kulturstaaten. Man lese z. B. die Art. 62, 86, 45 der 
preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850: „Die gesetzgebende 
Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern. 
ausgeübt‘... „die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch 
unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene Ge- 
richte ausgeübt‘‘... ‚‚dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu“, 
— Diese ‚„Gewalten‘‘ sind nun nicht etwa selbständige Willen und Wesen, drei 
Staaten im Staat, sondern nichts als verschiedenartige Ausstrahlungen einer 
einzigen Gewalt. Es handelt sich überall um eine und dieselbe Staatsgewalt, 
von drei Seiten aus gesehen. 
Die Dreiteilung hat zunächst den Sinn einer theoretischen Distinktion, 
einer Einteilung. Sie bedeutet aber weiterhin, schon und gerade bei Montesquieu 
ein praktisch-politisches Organisationsprinzip, sie beweckt die Trennung der 
Gewalten (separation des pouvoirs), das heißt: ihre Verteilung an besondere und 
selbständige Organe des Staates. Weder in dem einen noch in dem anderen 
Sinne widerspricht das Prinzip der Gewaltenteilung der Einheit von Staat und 
Staatsgewalt. Einteilen heißt nicht zerreißen: die logische Operation des Ein- 
Theoretische 
Einteilung 
und praktische 
Trennung.
	        
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