Politischer Wert
374 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht.
teilens hebt die Einheit des Ganzen nicht auf, bestätigt sie vielmehr. Und wer
die Verteilung der verschiedenen Funktionen an verschiedene Organe für unver-
träglich halten wollte mit der Idee der staatlichen Einheit, der müßte unge-
reimter Weise auch behaupten, daß Lebewesen und Maschine keine Einheiten
seien, weil jenes viele Organe, diese viele Räder hat.
Der verfassungsrechtlichen Frage, in welcher Art und mit welchen Ein-
schränkungen die Gewaltenteilung durchgeführt werden kann und in den ver-
schiedenen Ländern durchgeführt worden ist, kann hier nicht nachgegangen
werden. Die Verfassungen der deutschen Einzelstaaten und des Deutschen
Reiches zeigen die Durchführung in folgender Gestalt. Die gesetzgebende
Gewalt steht bei Regierung und Volksvertretung im verfassungsmäßigen
Zusammenwirken, wird also im Einzelstaate von Krone und Landtag (vgl. den
oben angezogenen Art. 62 der Preußischen Verfassung), im Reiche aber durch
Bundesrat, Kaiser und Reichstag (Reichsverfassung Art. 5, 17) ausgeübt. Die
Justiz ist Gerichten übertragen, welche von den Organen der Verwaltung
ebenso getrennt wie unabhängig sind; diese Unabhängigkeit bedeutet Selb-
ständigkeit der richterlichen Urteilfindung gegenüber jedem anderen Willen
im Staate außer dem des Gesetzgebers, bedeutet Freiheit von jedem Einfluß
der Verwaltungsorgane, auch der obersten Staatsleitung, der ‚Regierung‘
(Landesherr, Kaiser, Bundesrat), welche den Richter zwar anstellt, ihm aber
nicht vorschreiben kann, wie er zu urteilen hat. Die Verwaltung steht teils
Staatsbehörden: den Verwaltungsbehörden (System der reinen Staatsverwaltung),
teils den Gemeinden und anderen selbständigen körperschaftlichen Verbänden
(Selbstverwaltung) zu. Die Verwaltungsbehörden sind, in hierarchischer Unter-
ordnung der niederen unter die höheren, der Leitungsgewalt des Staatsoberhauptes
unterstellt (dies der Sinn des angeführten Art. 45 der Preußischen Verfassung) ;
die oberste Leitung der Reichsverwaltung ist Sache des Kaisers. Die Tätigkeit
der Selbstverwaltungskörper steht unter gesetzlich geordneter Staatsaufsicht.
Die wesentlichsten politischen Fortschritte, die wir der Gewaltenteilung
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Gewaltenteilung. Verdanken, sind: die Bindung des Zustandekommens aller Gesetze an Formen,
Ihr Wesen.
welche den Erwählten derer, die den Gesetzen zu gehorchen haben, den gleichen
Machtanteil gewähren wie der Regierung; die Übertragung der gesamten recht-
setzenden Gewalt an diese konstitutionelle Legislative, wodurch jede eigene
Macht der Regierung und der Verwaltungsorgane, das bestehende Recht zu
ändern, verneint ist; die Unabhängigkeit der Justiz und die Trennung derselben
in allen Instanzen von der Verwaltung, damit aber auch die Selbständigkeit
der Verwaltung gegenüber der Justiz; endlich die Unterstellung nicht nur der
Gerichte, sondern auch der Verwaltung unter das Gesetz, derart, daß die Ver-
waltung nicht nur nach Zweckmäßigkeitsrücksichten, sondern nach solchen
innerhalb der Schranken des Gesetzes zu führen ist.
A. Begriff und Grenzen der Justiz und der Verwaltung.
I. Die Justiz. ‚Justiz‘ ist nach dem heutigen Stande der Dinge in
Deutschland nicht dasselbe wie ‚Rechtspflege‘‘, sondern etwas anderes; teils