Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Justiz und Verwaltung. A. Begriff und Grenzen der Justiz und der Verwaltung. 375 
weniger, teils mehr. Rechtspflege (das Wort ‚Rechtsprechung‘‘ bedeutet das 
gleiche) ist, der Name sagt es, alle auf „Pflege‘‘, d.h. auf Erhaltung des objek- 
tiven Rechtes und der subjektiven Rechte zielende Tätigkeit ohne Einschränkung 
auf bestimmte Gebiete des Rechtes (Privat-, Straf-, Staatsrecht) oder bestimmte 
Arten von Rechten. Rechtspflege ist es, wenn der deutsche Bundesrat einen 
Streit zwischen Einzelstaaten oder zwischen Einzelstaat und Reich entscheidet, 
wenn die Reichslegislative auf Grund von Art. 76 Abs. 2 RV. einen Verfassungs- 
konflikt zwischen Krone und Landtag im Einzelstaat erledigt, wenn die zustän- 
dige Behörde (Gerichtsverf.-Ges. $ 17) einen Zuständigkeitsstreit zwischen Justiz 
und Verwaltung (Kompetenzkonflikt) schlichtet. Das alles ist Rechtspflege, 
wiewohl es sich überall nicht um Privatrechtsstreitigkeiten und in den beiden 
letzten Fällen nicht um Beschützung subjektiver Rechte, sondern um Klar- 
stellung des objektiven Rechtes, um den Schutz der Rechtsordnung als solcher, 
handelt, Justiz aber ist all das nicht. Justiz ist auch nicht der Rechtsprechungs- 
akt, durch welchen ein Beamter mit einer Disziplinarstrafe belegt wird, nicht 
die Kognition der höheren Verwaltungsbehörde über die Legalität der Ver- 
fügung einer ihr unterstellten Behörde, nicht die Entscheidung des Finanz- 
ministeriums über die Berechtigung einer Steuerreklamation. Denn auch hier 
ist überall nicht der in Aktion getreten, dessen Tätigkeit im System unserer 
Gewaltenteilung und nach der darauf gegründeten Sprechweise der Gesetze und 
der Wissenschaft allein Justiz ist und Justiz heißt: der ordentliche Richter. 
Justiz ist die Zuständigkeit und Tätigkeit der ordentlichen Ge- 
richte. Der Begriff würde sich mit dem der Rechtspflege nur dann decken, 
wenn diese den ordentlichen Gerichten in ihrem vollen Umfange und wenn 
außer ihr den ordentlichen Gerichten nichts übertragen wäre. In Deutschland 
liegt die Sache aber nicht so. Die Rechtspflege ist den ordentlichen Gerichten, 
wie bereits die vorhin angeführten Beispiele zur Genüge zeigen, nicht ausschließ- 
lich übertragen: auf weiten Gebieten der Rechtsordnung ist die Kompetenz der 
ordentlichen Gerichte völlig ausgeschlossen. Nicht jede Rechtspflegesache ist 
eine Justizsache. Und andererseits: es gibt Justizsachen, die materiell gewertet, 
keine Rechtspflegeakte sind. Die deutsche Art der Gewaltenteilung überträgt 
den Gerichten viele administrative Geschäfte auf dem Gebiete des Justizwesens 
(Justizverwaltungssachen) und weist ihnen ferner den beträchtlichsten Teil der 
sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit zu, wiewohl es sich dort wie hier nicht um 
rechtspflegende, sondern um Verwaltungstätigkeiten handelt. Es ist daran 
festzuhalten: die Grenzen der Justiz reichen einerseits nicht so weit, als die des 
Gesamtgebietes der Rechtspflege, sie reichen andererseits darüber hinaus. Justiz 
ist weniger und mehr als Rechtspflege. 
Justiz ist vor allen Dingen weit weniger als Rechtspflege. Das heißt: in den 
meisten Ländern, vorab in Deutschland, Österreich, Frankreich bleibt der 
Wirkungskreis der Justiz, die sachliche Zuständigkeit der ordent- 
lichen Gerichte an Umfang weit zurück hinter dem Inbegriff aller denkbaren 
und vorkommenden Rechtsstreitigkeiten. Auf welche Rechtsstreitigkeiten er- 
streckt sich nun die Zuständigkeit der Gerichte, auf welche nicht? 
Ihr Wirkungs- 
kreis
	        
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