376 . GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht,
Es versteht sich, daß diese Frage nur nach dem positiven Recht eines
jeden einzelnen Landes beantwortet werden kann: ein Weltstaatsrecht gibt
es ja nicht, ebensowenig ein Naturrecht, also auch kein Universalprinzip über
die Grenzscheidung zwischen Gericht und Verwaltung. Nur davon kann die
Frage sein, inwieweit die Kompetenzgrundsätze der einzelnen Staaten und
Länder untereinander übereinstimmen und voneinander abweichen. Und hierüber
läßt sich, mit weitgehender Außerachtlassung alles minder Wesentlichen, fol-
gendes sagen. In der Gestaltung jenes Grenzzuges treten von alters her zwei
typisch verschiedene Anschauungen hervor, welche auch heute noch, die eine
hier, die andere dort herrschend nebeneinander stehen. Die eine Anschauung
ruht auf dem Gedanken der Einheit des Rechtes und der Rechtspflege. Sie
verneint den Gegensatz zwischen Privat- und öffentlichem Recht, oder doch,
sie gibt ihm in bezug auf die Organisation des Rechtsschutzes keine praktische
Folge. Die Rechtsschutzorganisation erscheint als ein einheitliches System
ordentlicher Gerichte, welche zuständig sind in jedem Falle behaupteter Ver-
letzung von Einzelrechten und dieserhalb erhobener Klage; wo ein Individual-
recht, da eine Klage bei dem ordentlichen Richter; es macht für die gerichtliche
Klagbarkeit des individuellen Anspruchs keinen Unterschied, ob er sich gegen
eine Privatperson oder gegen den Staat und dessen Organe richtet; auch die
Träger der öffentlichen Gewalt, also auch, sofern solche schon differenziert,
die Verwaltungsbehörden und -beamten stehen nicht sowohl unter dem Recht
als unter dem Richter. Es ist deutlich, daß nach dieser Grundanschauung nicht
nur die Privatrechts- und Strafrechtspflege, sondern auch die Pflege des Ver-
waltungsrechts, der Schutz des einzelnen in seinen Rechtsbeziehungen zur
handelnden Staatsgewalt, zum Wirkungskreis der Justiz gehört. Diese An-
schauung darf nach Herkunft und Wesen als spezifisch germanisch bezeichnet
werden. Sie beherrscht Altertum und Mittelalter der deutschen Staats- und
Rechtsentwickelung. Das alte deutsche Reich, bis ans Ende seiner Tage ein
mittelalterlicher Staat, hat zu allen Zeiten an ihr festgehalten; die Zuständigkeit
der Reichsgerichte erstreckte sich gleicherweise auf Privatrechtsstreitigkeiten
wie auf Fragen des öffentlichen Rechtes, und namentlich auf Klagen der Unter-
tanen gegen ihre Landesherren wegen Mißbrauch der Landeshoheit. Auf der-
selben Anschauung beruhen noch heute Wesen und Wirkungskreis der richter-
lichen Gewalt in England und Nordamerika. Endlich hat eine selbständige
Rezeption des angegebenen Prinzips durch die moderne Gesetzgebung statt-
gefunden in Italien, wo durch das Gesetz vom 20. März 1865 im Sinne mög-
lichster. Vereinheitlichung aller Rechtspflege die Kompetenz der ordentlichen
Gerichte auf alle Fälle ausgedehnt wurde, wo die Verletzung eines Individual-
rechts behauptet wird, einerlei, ob als verletzender und daher beklagter Teil
eine Privatperson oder eine Staatsbehörde erscheint. (Weiteres hierüber siehe
unten S.416, 417). — Das andere Prinzip begrenzt die Zuständigkeit der Gerichte
weit enger, es beschränkt sie grundsätzlich auf die Entscheidung der Streitig-
keiten zwischen Privatpersonen und auf die Strafrechtspflege, schließt sie aber
aus in allen anderen Angelegenheiten des öffentlichen Rechtes abgesehen vom