I. Justiz und Verwaltung. A. Begriff und Grenzen der Justiz und der Verwaltung. 377
Strafrecht, läßt also insbesondere bei behaupteter Verletzung vun Einzelrechten
durch die Träger und Organe der öffentlichen Gewalt eine gerichtliche Klage
nicht zu. Dieser Grundsatz galt in Rom. Aus römischem Staats- und Rechts-
geist ist die Scheidung von Privat- und öffentlichem Recht geboren, von eben-
daher stammt der Gedanke, diese Scheidung zur Grundlage zu nehmen für die
Begrenzung des Wirkungskreises der richterlichen Gewalt. Sache des Richters
ist nach römischer Anschauung außer und abgesehen von der Strafrechtspflege
nur die Entscheidung von Streitigkeiten des Privatrechts, nicht aber auch von
solchen des öffentlichen Rechtes, und als ein Verhältnis des öffentlichen Rechtes
gilt jedes, wobei der Staat beteiligt ist, quod ad statum rei Romanae spectat
($ 2 Dig., I, I), einerlei, ob es sich dabei um öffentliche Befehlsgewalten, um
das imperium, oder um das Eigentum des Staates oder um Verträge handelt,
welche der Staat geschlossen hat: der römische Staat lebt ausnahmelos, auch
als Subjekt von Vermögensrechten, als Eigentümer, Gläubiger, Schuldner,
nach jus publicum, er unterwirft sich auch in dieser seiner Eigenschaft — als
Fiskus — den Entscheidungen der Gerichte nicht. Kurzum, nach römischem
Recht ist die jurisdictio, die Zuständigkeit und Tätigkeit des Richters, grund-
sätzlich nur „jurisdictio inter privatos‘‘, nicht „jurisdictio inter populum et
privatos‘‘; die Erledigung von Streitfällen, wobei es sich um das imperium oder
auch nur um das dominium des Staates handelt, ist, modern ausgedrückt, nie-
mals Justiz-, sondern stets Verwaltungssache.
Diese römischen Anschauungen sind seit neuerer Zeit in den meisten Staaten
des europäischen Kontinents — während England, wie erwähnt, in unverän-
dertem Festhalten an dem germanisch-mittelalterlichen Gedanken mit seiner
Indifferenzierung von Privat- und öffentlichem Recht eine abweichende Stellung
einnimmt — mehr oder minder zur Geltung gelangt. Nicht als ob sie, als un-
mittelbar anzuwendendes Recht, formell rezipiert worden wären; die Rezeption
des römischen Rechtes hat sich auf die hier in Betracht kommenden Sätze des
antiken jus publicum so wenig erstreckt, wie auf die anderen. Es liegt vielmehr
eine selbständige, nach Abschluß des Mittelalters einsetzende Entwickelung vor,
welche besonders in Frankreich zu Ergebnissen führt, die mit dem römischen
Staatsrecht und seinen Kompetenzgrundsätzen auffallend übereinstimmen. Es
ist eine Entwickelung, die nur eine Teilerscheinung bildet in dem Gesamtverlauf
des Werdens und Wachsens des modernen Staates. Der moderne Staat ver-
körpert sich zuerst in der Gestalt einer starken Monarchie und in einer von
dieser Monarchie geschaffenen und geführten Verwaltung: einer Verwaltung,
die gerade dadurch an Macht und Zwecken wuchs, dadurch den modernen
Staatsgedanken emportrug, daß sie sich der Unterordnung unter die Gerichte
erwehrte und mit Erfolg den Anspruch erhob, in ihrem Rechts- und Interessen-
kreise ihr eigener Richter zu sein. Diese Entwickelung vollzieht sich mit aller
Schärfe namentlich in Frankreich; ancien regime und Revolution stimmen in
ihrer Stellung zu der Frage der. gerichtlichen Kompetenz ganz überein; jenes
wie diese, und zwar diese noch folgerichtiger und in reinlicherer Scheidung wie
jenes, schränken den Wirkungskreis der Gerichte auf Privatrechtsstreitigkeiten