380 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht.
der Spitze stehen die Gedanken der Staatlichkeit und der Unabhängigkeit
der : Justiz. „Die Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privat-(Patrimonial-)Ge-
richtsbarkeit ist aufgehoben“ ... „Die Ausübung einer geistlichen Gerichts-
barkeit in weltlichen Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung‘ (GVG.
$ 15). „Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetze unter-
worfene Gerichte ausgeübt‘‘ (das. $ ı). „Ausnahmegerichte sind unstatthaft.
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden‘‘ (das. $ 16). Mit
alledem sind wichtige und wesentliche Grundsätze des modernen Staates, denen
vor 1877 allerdings schon in allen deutschen Einzelstaaten (ausgenommen die
beiden Mecklenburg) durch die Landesgesetzgebung genügt war, nunmehr auch
reichsrechtlich festgelegt worden. Die Justiz ist restlos verstaatlicht und in
ihrem Verhältnis zu den anderen Staatsfunktionen verselbständigt worden nach
dem Richtmaß der Gewaltenteilung. Die justizausübenden Staatsorgane, die
ordentlichen Gerichte, sind von den gesetzgebenden wie von den verwaltenden
vollkommen getrennt. Die Trennung bedeutet aber in dem einen und dem an-
deren Falle etwas ganz Verschiedenes: dort Unterordnung, hier Gleichordnung
und Unabhängigkeit; dem Gesetz sind die Gerichte ganz unterworfen, der Ver-
waltung gar nicht. Dem Gesetz ganz. Das heißt: die Vorschrift, welche ordnungs-
mäßig als Gesetz verkündigt (als Reichsgesetz im Reichsgesetzblatt, als Landes-
gesetz in der Gesetzsammlung des Landes publiziert) ist, hat der Richter einfach
anzuwenden, nicht aber erst auf ihre Vernünftigkeit zu prüfen — denn das Gesetz
ist verbindlich, nicht weil es gut, sondern weil es Gesetz ist — oder auf ihre Ver-
fassungsmäßigkeit zu untersuchen — denn die Innehaltung der Verfassungs-
normen über das Zustandekommen der Gesetze und insbesondere auch der
verfassungsändernden Gesetze ist nach deutschem Staatsrecht eine Frage aus-
schließlich zwischen den gesetzgebenden Faktoren, zwischen Regierung und
Volksvertretung. Der Verwaltung gar nicht. Das bedeutet: die Verwaltungs-
organe, einschließlich des obersten, des Staatsoberhauptes, können dem Richter
nicht vorschreiben, wie er zu urteilen hat. Verwaltungsvorschriften im weiteren
Sinne sind auch die von den Organen der Verwaltung erlassenen, Rechtssätze
enthaltenden Verordnungen: die Rechtsverordnungen. Sie sind vom Richter
als geltendes Recht anzuwenden, aber nur insoweit, als sie dem delegierenden
und schrankenziehenden Willen des Gesetzgebers entsprechen. Gesetze nicht,
wohl aber Verordnungen hat der Richter auf ihre Rechtsgültigkeit (Verfassungs-
und Gesetzmäßigkeit) zu prüfen, — es sei denn, daß ihm dieses Prüfungsrecht
durch ausdrückliche Verfassungs- oder Gesetzesvorschrift entzogen wäre, wie
dies z.B. in Preußen in bezug auf königliche Verordnungen geschehen ist
(preuß. Verf. Art. 106 Abs. 2). — Die obersten Regierungsorgane — der Monarch
in den monarchischen deutschen Ländern, in den Hansestädten der Senat, im
Reiche Kaiser und Bundesrat — sind der Justiz gegenüber auf die sog. gerichts-
herrlichen Rechte beschränkt: Justizverwaltung und Aufsicht über die Gerichte,
oberste Leitung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung, Begnadigungsrecht.
Über die Verfassung und das Verfahren der Gerichte findet man in anderen
Teilen dieses Werkes Belehrung.