Das Problem
der Verwaltung»
gerichtsbarkeit
und die
Geschichte seiner
Lösung.
384 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht.
akte aller Art, Einzelverfügungen nicht minder wie Verordnungen (z. B. Polizei-
strafverordnungen), wenngleich nicht aufheben oder beseitigen, so doch inci-
denter für rechtsungültig erklären und durch die daran geknüpfte Entscheidung
(Freisprechung des wegen Übertretung einer ungültigen Polizeiverordnung
Angeklagten, Verurteilung des Beamten oder des Staates zum Schadenersatz)
eine zwar nur indirekte, aber doch praktisch sehr wirksame Rechtskontrolle,
administrativer Tätigkeit auszuüben. Dabei kann es sich freilich immer nur um
eine Nachprüfung sn iure, um eine Rechtskontrolle im strengen Sinne handeln.
Weit darüber hinaus geht der Umfang der Kontrolle der Verwaltung durch die
Verwaltung selbst: die obere Behörde kann Akte der ihr untergeordneten Be-
hörden und Organe aufheben (direkt wirksame Kontrollel), nicht nur wegen
Rechtswidrigkeit, sondern auch wegen Unzweckmäßigkeit; sie kann dies tun
von Amts wegen oder aber auch auf Anrufen Beteiligter. Dieses Anrufen der
Dienstgewalt des Vorgesetzten über den Untergebenen heißt technisch Be-
schwerde oder Verwaltungsbeschwerde (Rekurs): es ist deutlich, daß
damit nicht nur ein Rechtsmittel, sondern mehr, ein Mittel zur Geltendmachung
rein tatsächlicher Interessen der einzelnen gegenüber der Verwaltung gegeben ist.
Das gleiche gilt von der hier schließlich noch zu erwähnenden parlamen-
tarischen Kontrolle der Verwaltung und der jedem Staatsangehörigen eröff-
neten Möglichkeit, diese Kontrolle durch Einreichung einer Petition bei der
Volksvertretung in Bewegung zu setzen. Demgegenüber ist durch den Begriff
der Verwaltungsgerichtsbarkeit streng genommen die Einschränkung der Insti-
tution auf den Rahmen der Rechtspflege, d.h. den Zweck des Rechtsschutzes
(Schutz des subjektiven Rechtes oder des objektiven Rechtes als solchen) ge-
fordert; die positive Entwickelung hat aber darüber hinausgeführt, sofern in
manchen Ländern, vorab in Preußen, die Verwaltungsgerichte ermächtigt sind,
in gewissem Umfange auch administrative Zweckmäßigkeitsfragen vor ihr
Forum zu ziehen, angefochtene Verwaltungsakte wegen Unbilligkeit oder Un-
zweckmäßigkeit aufzuheben, mithin nicht nur Rechtsschutz, sondern auch
Interessenschutz zu gewähren.
Damit kehrt die Betrachtung zu dem Problem der Verwaltungsgerichts-
barkeit zurück.
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist für Deutschland und Österreich eine
durchaus neuzeitliche, eine moderne Einrichtung, deren Anfänge nirgends hinter
die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Die ersten Einrich-
tungen, welche den Namen Verwaltungsgerichtsbarkeit verdienen, wurden 1863
in Baden geschaffen; der Aufbau der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit
ward 1872 begonnen, 1875 vollendet; Österreich folgte 1875, Württemberg 1876,
Bayern 1878. Die Sache ist also überall noch nicht sehr alt; eine eigentliche
Geschichte kaum vorhanden. Mit besserem Recht kann man von einer Vorge-
geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit reden. Diese Vorgeschichte verdient
Beachtung, denn sie ist es, welche darüber aufklärt, wie man dazu gekommen
ist, die Probleme überhaupt aufzuwerfen, deren schließliche Lösung in Gestalt
der deutschen Verwaltungsgerichte heute dem Betrachter entgegentritt.