Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

386 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
leistete wie der Rechtszug in ‚Justizsachen‘, in Zivilstreitigkeiten und Straf- 
sachen. Es war, anders ausgedrückt, mit dem Rechtsschutz in Zivil- und Straf- 
sachen nicht besser bestellt, wie mit dem Interessenschutz in Verwaltungs- 
sachen: in den kleineren Ländern war es meist eine und dieselbe Behörde, welche 
zugleich als oberster Gerichtshof und als oberste Verwaltungsbehörde auftrat; 
und wo, wie namentlich in Preußen, die oberste Verwaltungsbehörde (General- 
direktorium) schon im 18. Jahrhundert von dem obersten Gerichtshof getrennt 
gewesen ist, war sie ebenso wie ein solcher Gerichtshof, nämlich kollegialisch 
organisiert, und der oberste Gerichtshof war ebensowenig unabhängig, wie die 
oberste Verwaltungsbehörde. Kurz: der Verwaltungsweg mit dem Beschwerde- 
zug an die höheren Instanzen war so gut und so schlecht wie der ordentliche 
Rechtsweg mit seiner Appellation und seinen sonstigen Rechtsmitteln. 
Yerdalierungen Im 19. Jahrhundert haben sich alle diese Verhältnisse und Voraussetzungen 
Verbesserungen von Grund aus geändert. Das alte Reich ging unter; mit ihm erlosch die Juris- 
10. Jahrhundert diktion seiner Gerichte in Landeshoheitssachen, und nichts tritt an die Stelle 
“dieser Jurisdiktion. Die Zuständigkeit der Reichsgerichte wächst den Landes- 
gerichten nicht zu, die Verwaltung auch der kleineren Staaten erlangt Frei- 
heit von jeder richterlichen Kontrolle, erwirbt die Souveränetät, welche die 
größeren faktisch längst besessen hatten. Und die von nun ab allenthalben 
beginnende Modernisierung der Justiz- und Verwaltungsverhältnisse weckt 
Schutzbedürfnisse, wo früher keine waren; sie läßt zwischen Rechtsweg und 
Verwaltungsweg eine Unterschiedlichkeit hervortreten, welche vom Stand- 
punkt des Individualinteresses aus gesehen, geradezu gleichbedeutend ist mit 
dem Gegensatz von Gut und Böse. Justiz und Verwaltung werden getrennt. 
Wie es das Prinzip der Gewaltenteilung zu bedingen schien, wurden die Gerichte 
“auf Zivil- und Strafsachen beschränkt, von der Rechtsanwendung in streitigen 
Verwaltungssachen dagegen grundsätzlich ausgeschlossen. Den Fortschritten, 
welche die Entwickelung der Justizeinrichtungen zeigt, scheinen Rückschritte 
der Verwaltungseinrichtungen gegenüberzustehen. Der Gedanke der richter- 
lichen Unabhängigkeit bricht sich Bahn, der konstitutionelle Staat nimmt ihn 
in seine Verfassungen auf. Gerichtsorganisation und Prozeß werden stetig ver- 
bessert: Regelung des Instanzenzuges und der Rechtsmittel, Mündlichkeit und 
Öffentlichkeit des Verfahrens, Anklageprozeß, Schwurgerichte. Alle diese und 
andere Garantien für Rechtlichkeit und Sachlichkeit der Streitentscheidung 
kommen aber eben nur der Justiz, also der Zivil- und der Strafrechtspflege zu- 
gute. Wer statt mit dem Nachbar mit der Polizei- oder einer anderen Ver- 
waltungsbehörde streiten will, dem ist der Rechtsweg verschlossen, er sieht sich 
einzig auf den Weg der Beschwerde bei den höheren Verwaltungsinstanzen, 
damit aber auf einen Weg angewiesen, der dem Schutzinteresse der Partei nicht 
sowohl weniger Garantien bot, als die Verfassung und das Verfahren der ordent- 
lichen Gerichte, sondern unter diesem Gesichtspunkt sogar schlechter war als 
die Verwaltungseinrichtungen und der Verwaltungsweg der älteren Zeit. Justiz 
und Verwaltung hatten sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts nach dem Vor- 
gange und Vorbilde Frankreichs auch in Deutschland nicht sowohl geschieden
	        
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