Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

388 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
In Verwaltungssachen gab es mangels gerichtlicher Zuständigkeit fort- 
dauernd nur den Beschwerdeweg zur oberen Instanz. Das hieß: an oberster 
Stelle verfügt und entscheidet der Ressortminister, insbesondere auch dann, 
wenn den Behörden seines Ressorts ein Recht auf Eingriff und Zwang von der 
Partei streitig gemacht wird. Er entscheidet in solchem Falle, wie stets, der 
decretum simplex in einem formlosen, schriftlichen Verfahren, auf den Bericht 
der Behörde, gegen deren Vorgehen die erhobene Beschwerde sich richtet, nach 
Akten, auf deren Inhalt der Beschwerdeführer keinen Einfluß und auf deren 
Kenntnis er kein Recht hat; er entscheidet nur allzuhäufig nach dem Prinzip, 
daß im Interesse der ‚„Staatsautorität‘‘ der angegriffenen Behörde wenn irgend- 
möglich nicht Unrecht gegeben werden darf. Das gesamte Verwaltungsrecht 
des Ressorts wird so gehandhabt, wie der jeweilige Chef desselben, der Minister, 
es auffaßt. Das alles gilt — und nicht nur in den Jugendjahren des deutschen 
Konstitutionalismus — für ‚‚konstitutionell‘. Eine ausreichende Garantie gegen 
Rechtswidrigkeiten und Mißbräuche glaubte man in der Verantwortlichkeit 
der Minister zu besitzen, wobei aber übersehen wurde, daß diese Verantwort- 
lichkeit nur dann wirklich korrektive Bedeutung hat, wenn, was in keinem 
deutschen Staate der Fall ist, die Volksvertretung das Recht und die Macht 
hat, den Rücktritt der Minister gegen den Willen der Krone zu erzwingen, und 
daß, abgesehen hiervon, jene Garantie in einem sehr häufigen, also wesentlichen 
Falle versagt: dann nämlich, wenn die Parlamentsmehrheit dem Minister er- 
geben ist, in ihm den Mann ihres Vertrauens erblickt und ihn deshalb nicht zur 
Verantwortung zieht. — Alles in allem hat die konstitutionelle Ära in der Auf- 
fassung und Behandlung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und einzelnen 
sich zunächst sehr unvorteilhaft eingeführt. Auch und besonders gegen das 
act erste Jahrzehnt konstitutioneller Regierung in Preußen ist dieser Tadel erhoben 
“ worden (Gneist, Lasker); sicher mit Recht, denn zu keiner Zeit hat die 
preußische Verwaltung so andauernd und ungescheut nach dem Grundsatz 
handeln dürfen: erlaubt ist, was mir gefällt — als in jener sog. Reaktionszeit. 
Nur ist es nicht richtig, wenn man diesem Regime von 1850—1858 ‚‚systematische 
Parteimäßigkeit‘ vorwirft. Es ist nicht einzusehen, was für spezifisch partei- 
mäßige Züge den willkürlichen Ausweisungen, Konzessionsentziehungen und 
sonstigen Polizeischikanen jener Epoche anhaften sollen. Das war kein „Partei- 
regiment‘‘, ein konservatives oder irgendein anderes, sondern einfach der alte 
Polizeistaat, der sich durch das „Blatt Papier‘‘, die Verfassungsurkunde, in 
seinem Dasein zunächst nicht stören ließ. Nicht dafür ist jene Epoche beweisend, 
daß der Konstitutionalismus die Gefahr parteimäßiger Handhabung der Re- 
gierungsrechte selbst in einem Staate wie Preußen nahelegt, wohl aber dafür, 
daß auch nach und trotz Einführung einer Verfassung, welche den Rechtsstaat 
fordert, der Polizeistaat noch lange fortleben kann, — so lange, als man es ver- 
absäumt, den rechtsstaatlichen Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung durch 
ausreichende Schutzeinrichtungen zu sichern. 
Der Streit um So hatte der eintretende Konstitutionalismus das Bedürfnis nach einem 
die Verwalt . . .. 
geeichtabarkeit. besonderen Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes zunächst
	        
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