Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

i. Justiz u.Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege). 391 
der Verwaltungsgerichte gehörigen Fällen ‚‚weniger die Rechtsfrage als die Tat- 
frage streitig.‘‘ Der Schwerpunkt der verwaltungsrichterlichen Tätigkeit liegt 
nicht so häufig in der Anstellung rein logisch-juristischer, rechtswissenschaft- 
liche Fachbildung voraussetzender Gedankenoperationen als in der sorgfältigen 
Prüfung und objektiven Würdigung des Sachverhaltes. Um Beispiele heraus- 
zugreifen: die Bedürfnisfrage bei Schankkonzessionen, die Frage der ‚sittlichen, 
artistischen und finanziellen Zuverlässigkeit‘‘ (Reichsgewerbeordnung $ 32) 
eines die Erlaubnis zum Betriebe seines Gewerbes nachsuchenden Schauspiel- 
unternehmers, die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit eines von der zuständigen 
Behörde geforderten Wege- oder Schulhausbaues, die so häufig unter Streit 
stehende Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, welche 
die Polizeibehörde zum Erlaß einer bau-, feuer-, gesundheits- oder sonstigen 
polizeilichen Verfügung berechtigen, — diese und viele ähnliche, in der ver- 
waltungsgerichtlichen Praxis fortwährend vorkommenden Fragen sind ganz 
gewiß keine Rechtsfragen im spezifischen Sinne, die nur der im Richteramt 
geschulte Jurist, oder doch er am besten beantworten kann. Rechtskunde nützt 
hier wenig, um so mehr sind Sachkunde und administrative Erfahrung vonnöten, 
Kenntnisse, welche der dem Verwaltungswesen entfremdete und fernstehende 
Richter sich regelmäßig erst durch weitläufige Beweisaufnahmen verschaffen 
und von Sachverständigen erborgen muß. Drittens aber, und dies ist der am 
schwersten wiegende Einwand gegen den ‚,Justizstaat‘‘: die intendierte Rechts- 
kontrolle der Verwaltung durch die Justiz würde die Selbständigkeit der Ver- 
waltung lähmen, deren diese durchaus bedarf, um ihre Aufgaben wirksam er- 
füllen zu können. Die Kognition in Verwaltungssachen allgemein den ordent- 
lichen Gerichten übertragen heißt, letzten Endes die Verantwortlichkeit 
in ‘diesen Sachen auf die Justiz überwälzen. Es dürfte niemand 
leicht fallen, die Verantwortlichkeit für eine solche Verantwortlichkeitsver- 
schiebung zu übernehmen. Man denke doch darüber nach, wohin eine folge- 
richtige Durchführung des hier bekämpften Prinzips führen würde. Wenn 
jedermann, von dem die Polizeibehörde im Interesse der öffentlichen Sicherheit 
und Ordnung etwas verlangt, aufs Amtsgericht gehen und gegen die Polizei 
Klage erheben, nach Befinden eine einstweilige Verfügung erwirken kann, 
welche den Polizeiverwalter anweist, die Partei klaglos zu stellen, sie z. B. ihr 
Haus so bauen zu lassen, wie es ihr und dem mit ihr einigen Richter gefällt, 
der Polizei aber nicht gefällt, — dann liegt die Frage nahe, ob es nicht zweck- 
mäßiger wäre, noch einen Schritt weiter zu gehen und den Amtsrichter wieder 
zum „Amtmann‘ zu machen, ihm nicht sowohl die Kognition über die Polizei 
als die Polizei selbst zu übertragen, den Grundsatz der Trennung von Justiz 
und Verwaltung wieder aufzuheben und damit eine hundertjährige Entwickelung 
rückgängig zu machen, welche bisher allgemein für einen Fortschritt gehalten 
wurde. 
Solche Erwägungen sind es gewesen, welche auf die deutsche Verwaltungs- Einführung 
gesetzgebung seit den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahr- a 
gerichtsbarkeit 
hunderts bestimmend eingewirkt haben. Ihre natürliche Überzeugungskraft in Deutschland.
	        
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