Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

392 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht, 
machte sich überall geltend, wo man dem Problem der Verwaltungsgerichtsbar* 
keit ernstlich nahe trat; sie leuchteten mehr und mehr auch denen ein, welche 
früher der Meinung gewesen waren, daß der vollkommene Rechtsstaat nicht 
anders als im Gewande des Justizstaates erscheinen könne. Interessante Belege 
hierfür liefert das Verhalten der liberalen Parteien des preußischen Abgeordneten- 
hauses bei Beginn und im weiteren Verlaufe der Beratungen über das Gesetz, 
welches die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen eingeführt hat: die Kreis- 
ordnung vom 13. Dezember 1872. 
Die große gesetzgeberische Aufgabe, auf dem Gebiete des Verwaltungs- 
rechts einen Rechtsschutz zu gewähren, ebenso wirksam wie der, den in Privat- 
rechtsentscheidungen und Strafsachen Justiz und Prozeß darbieten, ist noch 
nicht in sämtlichen deutschen Staaten gelöst, aber in allen größeren: Preußen, 
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen und in den meisten Kleinstaaten. 
Auch das Reich hat hierin, von sich aus und für sein Verwaltungswesen, das 
Seinige getan. Wo immer aber das Problem gelöst und auch nur aufgerollt 
wurde, — nirgends hat man den Weg beschritten oder befürwortet, den Rechts- 
schutz in Verwaltungssachen den ordentlichen Gerichten zu übertragen, wobei 
zu bemerken ist, daß der landesgesetzlichen Einführung dieses ‚‚justizstaatlichen‘‘ 
Systems von Reichs wegen nichts entgegenstehen würde, den Einzelstaaten 
vielmehr durch Einf.-Ges. zum GVG. $ 4 freie Hand gelassen ist, den ordentlichen 
Gerichten außer der Privat- und Strafrechtspflege ‚‚ jede andere Art der Gerichts- 
barkeit‘, mithin auch Verwaltungsgerichtsbarkeit, zuzuweisen (vgl. oben 
S. 378, 379). Man hat es vielmehr, den oben entwickelten Gründen folgend, 
vorgezogen, besondere Verwaltungsgerichte zu schaffen, welche nicht in 
den Rahmen der Gerichtsverfassung, sondern in den der Verwaltungsorganisation 
eingefügt sind. Die unteren Instanzen dieses Systems, die Verwaltungsgerichte 
erster und — wo es eine solche gibt — zweiter Instanz sind überall zugleich 
Verwaltungsbehörden im engeren und eigentlichen Sinne: betraut mit der 
laufenden administrativen Geschäftsführung, so daß hier die Trennung zwischen 
reiner und streitentscheidender Verwaltungstätigkeit, zwischen adminsstration 
dure und contentieux administrats} wie die Franzosen sagen, eine nur prozessuale 
ist, indem die Behörden dann, wenn sie als Verwaltungsgerichte auftreten, ein 
bestimmtes, besonders hierfür konstruiertes Verfahren (das Verwaltungsstreit- 
verfahren) zu beobachten haben. Nur in der obersten Instanz ist die Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit auch organisatorisch von dem laufenden Vollzug der Ver- 
waltungsgeschäfte abgetrennt, sofern diese Oberinstanzen — Oberverwaltungs- 
gerichte, Verwaltungsgerichtshöfe — nur Verwaltungsgerichtsbarkeit ausüben 
und mit der Leitung der laufenden Verwaltung (welche den administrativen 
Zentralbehörden, insbesondere den Ministern, üngeschmälert geblieben ist) 
nichts zu tun haben. 
Man hätte sich für das Ganze füglich auf das Vorbild Frankreichs berufen 
können. Denn die Gedanken, welche unserer Verwaltungsgerichtsbarkeit das Ge- 
präge geben, liegen, wenn man den Blick auf das Wesentliche richtet, doch auch 
der um mehr als ein halbes Jahrhundert älteren französischen Verwaltungs-
	        
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