Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Justiz u.Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege). 393 
gerichtsbarkeit zugrunde (vgl. unten S. 408ff.). Doch ist das Bewußtsein einer 
Anlehnung an französische Einrichtungen (abgesehen natürlich von Elsaß-Loth- 
ringen, wo dieselben unverändert übernommen und in der Folge nur wenig 
umgebildet wurden) nirgends nachweisbar, und auch objektiv ist eine solche 
Anlehnung nicht vorhanden. Es liegt ein Parallelismus der Entwickelung, 
keine Rezeption französischen Rechtes vor. Die deutsche Verwaltungsgerichts- 
keit ist Eigengewächs, kein importiertes Produkt. 
Verwaltungsgerichtsbarkeit in dem angegebenen Sinne besteht jetzt im 
weitaus größten Teile Deutschlands, nämlich in Preußen, Bayern, Sachsen, 
Württemberg, Baden, Hessen, Oldenburg, Anhalt, Braunschweig, sämtlichen 
thüringischen Staaten und Lippe (also in 18 deutschen Einzelstaaten von 25), 
ferner im Reichslande Elsaß-Lothringen. Auch in dem Organismus der eigenen 
und unmittelbaren Verwaltung des Reiches — abgesehen von Elsaß-Loth- 
ringen — finden sich mehrere Spezialbehörden, welche nach Formation, Zu- 
ständigkeit und Prozedur als Verwaltungsgerichte anzusehen sind. 
II. Die Organisation der Verwaltungsgerichte. In den meisten 
und allen größeren Einzelstaaten ist der Organismus der Verwaltungsgerichts- 
barkeit in mehrere Instanzen gegliedert; Preußen und Bayern haben deren drei, 
die anderen Staaten zwei. Wie bereits hervorgehoben, findet eine vollständige, 
organische Trennung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der reinen Verwaltung 
nur in der obersten Instanz statt, als Unter- und Mittelinstanzen der Verwal- 
tungsgerichtsbarkeit fungieren durchweg Behörden, welche zugleich oder sogar 
in der Hauptsache reine Verwaltungsbehörden sind, so daß in diesen unteren 
Instanzen die Eigenschaft einer Sache als verwaltungsgerichtliche Sache (,,Ver- 
waltungsstreitsache‘‘) nur in der Art des Verfahrens, in dem sie zu erledigen ist, 
zum Ausdruck kommt. Im allgemeinen hat man die Verwaltungsgerichtsbarkeit 
in den unteren Instanzen an das Behördensystem der inneren (preußischer Aus- 
druck: ‚allgemeinen‘‘) Staatsverwaltung angeschlossen; in Preußen, Baden, 
Hessen und mehreren Kleinstaaten vorzugsweise an die neueren, stets größten- 
teils mit bürgerlichen Beisitzern (,‚Laien‘‘) besetzten Formationen (preußische 
Kreis- und Bezirksausschüsse, badische Bezirksräte usw.), in Bayern, Sachsen, 
Württemberg dagegen an die älteren, nur beamtete Mitglieder aufweisenden 
Behörden (Bezirksämter, Kreisregierungen, Kreishauptmannschaften). Die 
erforderliche Garantie für Gesetzlichkeit, Unparteilichkeit und Stetigkeit der 
Verwaltungsgerichtsbarkeit ist angestrebt worden einmal durch die Gestaltung 
des Verfahrens (Verwaltungsstreitverfahren s. u. S. 403ff.), sodann in der 
Art der Organisation der Verwaltungsgerichte. Dieselben sind durchweg 
(mit einer einzigen Ausnahme: der als Einzelbeamte entscheidenden bayerischen 
Bezirksämter) kollegialisch organisiert und in Ausübung ihres Amtes mit 
derselben Unabhängigkeit ausgestattet wie die ordentlichen Gerichte, so daß sie, 
wie diese, dem Gesetze ganz, Dienstbefehlen vorgesetzter Behörden gar nicht 
unterworfen und Verordnungen nur insoweit anzuwenden verpflichtet und 
berechtigt sind, als sie diese nach freier Prüfung für rechtsgültig erachten. 
Cberblick.
	        
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