Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

404 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
so daß nicht etwa nur der Armenverband, der von einem anderen Armenverband 
auf Rückerstattung von Unterstützungskosten, oder die Gemeinde, welche von 
ihren Angehörigen auf Herabsetzung in der Kommunalsteuer belangt wird, 
sondern auch der Amtsvorsteher, der Landrat, der Regierungspräsident, gegen 
deren Polizeiverfügungen man bei den Verwaltungsgerichten Schutz sucht, vor 
Gericht, in den Akten, im Rubrum der Streitsache als ‚Beklagte‘“ erscheinen 
(„in der Verwaltungsstreitsache des N. N., Klägers, wider den Königl. Re- 
gierungspräsidenten zu X., Beklagten, wegen Aufhebung einer polizeilichen 
Verfügung... .'‘). ,Parteistreitigkeiten‘‘ im prozessualen Sinne sind also nach 
preußischem Recht nicht nur solche Streitigkeiten, wo zwei subjektiv berechtigte 
Personen (Individuen oder Korporationen) einander gegenüberstehen, sondern 
auch diejenigen, welche den Untertanen in Angrifisstellung zeigen gegenüber 
einer staatlichen Verwaltungsbehörde. Abweichend hiervon heißen und sind 
Parteistreitigkeiten in diesem Sinne nach dem in Bayern, Württemberg und 
Sachsen geltenden Recht nur die Verwaltungsprozesse der ersteren Kategorie, 
während da, wo das Vorgehen einer Staatsbehörde (in Württemberg durch 
„Rechtsbeschwerde‘‘, in Sachsen durch ‚Anfechtungsklage‘‘) vor Gericht ge- 
bracht wird, der Staat auf die Stellung der Prozeßpartei verzichtet und die Wahr- 
nehmung seiner Interessen dem Gericht überläßt. Übrigens kann in jeder ein- 
zelnen Verwaltungsstreitsache und in jeder Instanz des Verfahrens für die Ver- 
tretung des Staatsinteresses dadurch noch besonders Sorge getragen werden, 
daß die Verwaltung (die höhere Verwaltungsbehörde, der Ressortminister) einen 
Kommissar bestellt, der vor Erlaß des Urteils mit seinen Ausführungen und An- 
trägen zu hören ist. In Bayern ist, wie bereits erwähnt, zu diesem Zwecke bei dem 
Verwaltungsgerichtshof eine Staatsanwaltschaft eingesetzt. — Dritte Personen, 
deren Interesse durch das Streitverfahren berührt wird, können vom Gericht „‚bei- 
geladen‘‘ werden, mit der Wirkung, daß die Entscheidung dann auch dem Beigela- 
denen gegenüber gültig wird. Der Beigeladene ist nicht Prozeßpartei, hat aber in ge- 
wissem Maße die Rechte einer solchen, er kann insbesondere Rechtsmittel einlegen. 
ung Zwang Von den bekannten Grundmaximen des Zivilprozesses gilt auch für das 
vollstreckung. Verwaltungsstreitverfahren zunächst der Satz nemo judex sine actore. Die Ver- 
waltungsgerichte schreiten nicht von Amts wegen ein, vielmehr immer nur auf 
Erhebung der Klage. Überall gelten ferner die Grundsätze des beiderseitigen 
Gehörs, der Mündlichkeit und Öffentlichkeit: das Verwaltungsstreitverfahren 
ist ein kontradiktorisches Verfahren (soweit beide Parteirollen besetzt sind) 
mit mündlicher und öffentlicher Verhandlung. Die Beschränkungen der Öffent- 
lichkeit sind den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung und der 
Strafprozeßordnung ähnlich; in der Behandlung des Mündlichkeitsprinzipes 
weichen die einzelnen Verwaltungsgerichtsgesetze stark voneinander ab. Un- 
bedingt und ausnahmslos notwendig ist die mündliche Verhandlung zur Fällung 
eines Urteils nirgends, vielmehr ist die Möglichkeit, bei ausdrücklichem oder 
stillschweigendem Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung zur 
Entscheidung zu gelangen, überall vorgesehen. Hierher gehören Bestimmungen 
wie die, daß bei Verzicht der Parteien auf mündliche Verhandlung oder beim Aus-
	        
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