Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Justiz u.Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege),. 405 
bleiben im Verhandlungstermin nach Lage der Akten zu entscheiden ist und daß 
bei klarer Sachlage der Prozeß vor und ohne Anberaumung ’eines Verhandlungs- 
termins, nach Befinden sofort auf Eingang der Klage durch ‚Vorbescheid‘‘ des 
Gerichts oder seines Vorsitzenden, unbeschadet des Parteirechts, mündliche Ver- 
handlung zu fordern, erledigt werden kann (vgl. z. B. Preuß. LVG. 88 64, 67). 
Die Verhandlungsmaxime des Zivilprozeßrechts gilt im Verwaltungsstreit- 
verfahren nicht, jedenfalls nicht, soweit man sie gleichsetzt mit dem Inhalt des 
Rechtssprichworts quod non est in actis non est in mundo. Die Entscheidungs- 
grundlage des Verwaltungsrichters ist nicht das Parteivorbringen, sondern der 
von ihm selbständig, unabhängig von den Ausführungen und Beweisanträgen 
der Parteien zu erforschende Tatbestand. Aber auch der Satz, welcher zuweilen 
als der zweite Teil der ‚Verhandlungsmaxime‘‘ bezeichnet wird: ne eat judex 
ultra betita partium gilt nicht überall. Er gilt z. B. nicht ım bayerischen und 
sächsischen Recht: hier darf der Verwaltungsrichter der Partei mehr und ein 
anderes zusprechen, als was sie beantragt hat, und es ist folgerichtigerweise 
auch die reformatio in dejus, die Abänderung einer vorinstanzlichen Entscheidung 
zum Nachteil dessen, der gegen sie das Rechtsmittel eingelegt hat, nicht ver- 
boten, sondern erlaubt; im Gegensatz zu Preußen und anderen Ländern, deren 
Gesetze den Verwaltungsrichter hinsichtlich der zu treffenden Entscheidungen 
an die Anträge der Parteien binden. Der Verwaltungsprozeß ist also, wenngleich 
nicht überall in gleichem Maße, wesentlich von der Untersuchungs- oder In- 
struktionsmaxime beherrscht. 
Der Betrieb des Prozesses ist nicht, wie im Zivilprozeß, Sache der Parteien, 
sondern des Gerichts und seines Vorsitzenden (Offizialmaxime). Dies gilt, ab- 
gesehen von Ladungen, Zustellungen usw., insbesondere auch für die Beweis- 
aufnahme. Das Gericht — oder eine von ihm beauftragte oder ersuchte Be- 
hörde — erhebt den Beweis, und zwar in dem von ihm für erforderlich erach- 
teten Umfange. Die Beweismittel sind die des Zivilprozesses, mit Ausschluß 
des Parteieides. Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Ge- 
richt in freier Würdigung. 
Die ordentlichen Rechtsmittel des Verwaltungsstreitverfahrens sind in 
Preußen Berufung und Revision sowie Beschwerde. Berufung und Revision 
richten sich gegen Endurteile erster bzw. zweiter Instanz, die Beschwerde gegen 
prozeßleitende Verfügungen; Charakter und Unterschied der Rechtsmittel sind 
dieselben wie im Zivilprozeß. Die anderen Staaten kennen die Revision nicht, 
sondern nur Berufung und Beschwerde. Als außerordentliches Rechtsmittel 
ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Analogie des Zivil- bezw. Straf- 
prozeßrechts überall zugelassen. 
Die Vollstreckung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen erfolgt 
im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens (der administrativen Exekution). 
II. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in außerdeutschen Län- 
dern. ı. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich und 
Ungarn. a) Österreich. Am nächsten stehen der deutschen Verwaltungs- 
Prinzipielle 
Gestaltung des 
Verfahrens. 
Außerdeutsch 
Länder: 
ı. Österreich 
und Ungarn. 
a) Österreich.
	        
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