Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

406 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
gerichtsbarkeit die entsprechenden Einrichtungen in Österreich. Diese Ver- 
wandtschaft, übrigens weitaus nicht das einzige, was die österreichische Monarchie 
mit den reichsdeutschen Staaten auf dem Gebiete des Verfassungs- und Ver- 
waltungsrechts gemein hat, ist weder eine bloß äußerliche noch eine zufällige; 
sie bezeugt vielmehr eine tiefreichende Übereinstimmung der politischen Grund- 
lagen, der Auffassungen von Staat und Recht, Verwaltung und Verwaltungsrecht, 
sie beruht auf einer langandauernden Gemeinsamkeit der Geschichte. An der 
oben (S. 377ff.) geschilderten Entwickelung der Verwaltung und der Justiz 
hat der monarchische Beamtenstaat auch in Österreich voll Anteil genommen; 
die österreichische Staats- und Verwaltungsgeschichte zeigt sich auch und 
gerade hierin als Teil dergesamtdeutschen. Es sind dort wie in den reichsdeutschen 
Monarchien dieselben Wandlungen, welche im Laufe des 19. Jahrhunderts in 
zunehmendem Maße jenes Gefühl der Schutzlosigkeit gegenüber den Ver- 
waltungsbehörden in der Individuation hervorriefen, es sind dieselben For- 
derungen, welche zur Besserung dieser Mißstände erhoben wurden und es sind 
schließlich doch auch dieselben Formen, ın denen die Forderungen, zur näm- 
lichen Zeit, wie in Preußen, Bayern, Württemberg, in den siebziger Jahren des 
verflossenen Jahrhunderts, erfüllt wurden. Ein Unterschied des geschichtlichen 
Verlaufs tritt aber darin hervor, daß der Übergang vom Absolutismus zum Kon- 
stitutionalismus sich in Österreich weit später als in den meisten deutschen 
Staaten vollzog: endgültig erst durch die Dezemberverfassung von 1867, d.h. 
zu einer Zeit, die das Problem der Verwaltungsgerichtsbarkeit gedanklich bereits 
gelöst hatte. Die Erfahrung hatte in Deutschland gelehrt, daß der Verfassungs- 
staat kein Rechtsstaat sein kann ohne einen wirksamen Rechtsschutz auf dem 
Gebiete der Verwaltung; Gneist und andere hatten gezeigt, daß und warum 
es sich nicht empfiehlt, jenen Rechtsschutz den ordentlichen Gerichten zu über- 
tragen. Es ist daher ganz erklärlich, daß der österreichische Konstitutionalismus 
die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von vornherein in sein Pro- 
gramm aufgenommen hat: das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt 
vom 2I. Dezember 1867 (Art. ı5) verheißt die Einsetzung eines Verwaltungs- 
gerichtshofes, während ein anderes Staatsgrundgesetz gleichen Datums, das 
Gesetz über das Reichsgericht, unter diesem Namen ein oberstes Tribunal an- 
ordnete, welches wesentliche Eigenschaften und Zuständigkeiten eines Verwal- 
tungsgerichtshofes nach deutschen Begriffen aufweist. Die Verheißung eines Ver- 
waltungsgerichtshofes ist durch das Gesetz vom 22. Oktober 1875 erfüllt worden. 
Eigentümlich ist der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zunächst 
das Nebeneinander zweier Gerichtshöfe: der Verwaltungsgerichtshof, dem Namen 
und der Sache nach ein Verwaltungsgerichtshof im vollsten Sinne, und das 
Reichsgericht, der Sache nach gleichfalls ein solcher, wenngleich in beschränkter 
Zuständigkeit. Beideaber — und dies hebt die österreichische Verwaltungsgerichts- 
verfassung ganz wesentlich von der deutschen ab — entscheiden stets in erster 
und einziger Instanz. Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit entbehrt 
der Gliederung in Instanzen. Unterinstanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit 
bestehen in keinem Sinne, auch nicht in dem, daß etwa gewissen Verwaltungs-
	        
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