II. Polizei und Kulturpflege. Einleitung. 425
der öffentlichen Ordnung. Zwang zur Förderung der Wohlfahrt nennen
wir nicht mehr Polizei. Das hat auch eine rechtliche Bedeutung. Soll zu solchen
Zwecken Zwang gebraucht werden (und das geschieht heute in weitem Maße),
dann ist spezielle gesetzliche Ermächtigung nötig. Auch heute noch müssen
dagegen vage allgemeinere Ermächtigungen genügen, wenn es sich um Ab-
wehr von Gefahren oder Störungen, also um polizeiliche Tätigkeit handelt, sei
es, daß diese Gefahren den öffentlichen Interessen drohen, sei es daß sie dem
einzelnen drohen, wenn er sich — im Durchschnitt! — gegen sie mit eigener
Kraft nicht erwehren kann; dann werden auch sie zu öffentlichen Gefahren.
Gleichgültig ist dabei, ob diese Gefahren, von menschlicher Tätigkeit oder von
Naturgewalten stammen. Dies letztere ist freilich bestritten. Man pflegt
übrigens die Abwehr von Gefahren, die zunächst den einzelnen bedrohen, ‚‚Sicher-
heitspolizei‘‘ zu nennen, während andere allerdings auch die Abwehr von
Naturgewalten, wieder andere selbst die Vereins-, Preßpolizei u. dgl. zur „Sicher-
heitspolizei‘‘ rechnen. Daneben spricht man heute allgemein von „gerichtlicher
Polizei‘‘ (ein der Terminologie der französischen Revolution entlehnter Aus-
druck) und versteht darunter hauptsächlich die Abwehr von strafgesetzlich
verpönten Handlungen inbegrifflich der Entdeckung und Ergreifung der Täter.
Da die „gerichtliche Polizei‘‘ nach französischem Muster fast überall der gericht-
lichen oder staatsanwaltlichen Weisung unterstellt ist, so wird dieselbe legis-
lativ wie literarisch im Zusammenhang mit den Prozeßordnungen behandelt.
Es ist leicht ersichtlich, kann aber hier nur angedeutet werden, wie schwan-
kend die oben angeführten Elemente des Begriffs der Polizei sind. Wir werden
uns zur Not darüber einigen können, daß die Unterlassung der Erbauung einer
Eisenbahn, eines Schiffahrtskanals, eines Spitals — so nützlich diese Dinge
sein mögen — doch in der Regel keine ‚‚Gefahr‘‘ bedeuten wird. Ebenso-
wenig wird man Schulversäumnisse, noch weniger Verunzierung einer Land-
schaft, eines Städtebildes zu den öffentlichen ‚Gefahren‘‘ rechnen. Unbequemes,
Lästiges ist noch keine Gefahr. Aber schon hier wird es Zweifel geben können.
Eine Eisenbahn mag eine strategische, ein Spital für Seuchenkranke kann eine
sanitäre Notwendigkeit sein. Auch darüber, was ‚eigene Kraft‘‘ bewältigen
kann, was nicht, werden die Ansichten leicht auseinander gehen. Und zwar
nicht nur von Generation zu Generation, sondern zu jeder Zeit und an jedem
Orte differieren die-Meinungen darüber sehr stark. Der Engländer, zumal der
Amerikaner mutet (ob immer aufrichtig, bleibe dahingestellt) auf Grund seines
„help yourself‘‘-Prinzips dem Arbeiter mehr ‚‚eigene Kraft‘‘ zu, als die übrigen
Nationen. Doch haben sich auch dort die Ansichten in diesem Punkte in den
letzten 50 Jahren gründlich geändert. Und welche Unterschiede selbst inner-
halb der englischen Race zwischen Australien und dem Mutterland! Calvin
betrachtet das Tanzen und das Theater als schreckliche ‚Gefahren‘‘ für die
Sittlichkeit. Erinnern wir uns ferner der ungeheuren, uns heute im Zeitalter
des Automobilismus bereits komisch vorkommenden Angst, welche die Polizei-
behörden vor etwa 30 Jahren dem Fahrrad entgegenbrachten! Mit diesen
Schwankungen müssen wir uns abfinden, weil unsere Gesittung eben die öffent,