II. Polizei und Kulturpflege. A. Polizeirecht. 427
bestände möglichst genau zu bezeichnen. Die ‚Gesetze‘‘ schwellen dadurch
zwar zu ungeheurem Umfange an, allein in eben diesem Maße steigt die Siche-
rung des Individuums gegen einen Mißbrauch der polizeilichen Gewalt. Auf
dem Kontinent pflegt man dem Ermessen der Polizeibehörden einen viel größe-
ren Spielraum zu gewähren. Doch ist auch hier die Tendenz, ihn durch Ge-
setze mehr und mehr zu begrenzen, überall bemerkbar.
Mit diesen zwei verfassungsmäßigen Bindungen der Polizeibehörden:
erstliich an eine Norm, zweitens an eine Norm mit Gesetzescharakter
hat man sich aber nirgends begnügt, weil noch weitere Garantien nötig sind,
um auch bei der Anwendung der polizeilichen Normen das Individuum
gegen polizeiliche Willkür der Polizeibehörden zu schützen. So gelangen
wir zu der dritten und vierten Gruppe der verfassungsmäßigen Bindungen
der Polizeibehörden, welche im modernen Staat vorhanden sind. Auch diese
beiden Gruppen vereinigen sich in dem Gedanken, das Individuum gegen
die Polizeibehörden zu schützen, und zwar dadurch, daß der Zwang soweit
als tunlich in die Hände von Organen gelegt wird, welche von der Zentral-
regierung möglichst unabhängig sind: Selbstverwaltung und Gericht.
Bei der Verwendung der ersteren zur Polizeiverwaltung sehen wir die 3. an die Mit-
modernen Staaten in zahlreichen Nuancen zwischen zwei entgegengesetzten Pe
Prinzipien schwanken. Nach dem einen (römischen, romanischen, franzö- tungskörpern.
sischen Ursprungs) werden die Selbstverwaltungskörper als staatliche Anstal-
ten in mehr oder minder intensiver Weise zur Hilfeleistung der staatlichen
Polizeiverwaltung herangezogen, nach dem anderen (germanischen) haben sie
ein „natürliches Recht‘‘ auf die Verwaltung der Polizeiagenden als ihrer
eigenen Angelegenheiten. Es schiebt sich freilich hierbei noch ein anderer
Gedanke ein: die Überzeugung, daß in einem großen Staate die ‚öffentlichen‘
Interessen sehr verschieden abgestuft sind (lokale, kommunale, provinzielle,
staatliche), daß die Zentralstellen nicht fähig sind, sie alle in gleichem
Maße zu verwirklichen und daß daher die Heranziehung der Selbstver wal-
tungskörper nicht nur im Interesse dieser letzteren, sondern auch im staat-
lichen Interesse selbst liegt.
Ausschließlich dem Interesse des Individuums dagegen dient die vierte 4. aa die Rechts-
Gruppe der obgedachten Maßregeln, welche zur Handhabung des Zwanges ek der
die Gerichte heranziehen oder in anderer Weise für die Unabhängigkeit der Gerichte.
polizeilichen Organe vorsorgen will. Zahlreich sind auch in dieser Richtung
die Unterschiede von Nation zu Nation, vom englischen Recht angefangen,
wo bis vor kurzem noch immer das mittelalterliche Prinzip rein erhalten blieb,
daß ausschließlich der (,Friedens‘‘-)JRichter den Zwang zu handhaben habe,
bis herab zu dem französischen ‚‚Contentieux administratif‘‘, das sich mit der
Herübernahme von ein paar Stücken des gerichtlichen Verfahrens in den ad-
ministrativen Prozeß begnügt. Aber man kann wohl sagen, daß kein moderner
Staat auf derlei Maßregeln ganz verzichtet hat. Sie bestehen teils in der Ein-
richtung eines Instanzenzuges, teils in einer kollegialen Organisation der maß-
gebenden Behörden, teils in der Heranziehung eines ‚„Laienelements‘‘, teils in