II. Polizei und Kulturpflege. A. Polizeirecht. 431
letzterer Preß-, Vereins-, Versammilungspolizei, die Polizei zur Wahrung mili-
tärischer Interessen, sowie meist die ganze gerichtliche Polizei. In England
und den übrigen Staaten der englischen Rasse ist der Entwickelungsgang der
umgekehrte: das Normale und ursprüngliche ist die Lokalpolizei.
IV. Allgemeiner Charakter dcs Polizeirechtes der Gegen-
wart und Ausblick auf die Zukunft. Im ganzen betrachtet unter-
scheidet sich das Polizeirecht der Gegenwart von jenem des 18. Jahrhunderts
besonders darin, daß ersteres ein System von Schutzwehren des einzelnen
gegen die Polizei sein will. Dies System mag in den Details noch sehr
verbesserungsbedürftig sein; aber das Ziel ist gegeben und viel davon ist allent-
halben erreicht, und es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß wir dies
ganze System, ohne das kcin ‚‚moderner‘‘ Staat gedacht werden kann, ohne
welches es keine politische Gesittung gibt, der englischen Nation verdanken.
In ihm kommt — nicht das Ganze, aber ein großer Teil dessen zum Ausdruck,
was die naturrechtliche Schule und die ihr folgenden ‚„Verfassungen‘‘ die
„Freiheit‘‘ des Individuums genannt haben. Indes schiebt sich in den letzten
Jahren ein ganz anderer Gesichtspunkt ein, der seine Quelle in der Erkenntnis
hat, daß jenes System viel zu einseitig auf die Interessen der be-
sitzenden Klassen zugeschnitten ist und die der besitzlosen keines-
wegs mit gleicher Sorgfalt schützt, obgleich gerade für diese die formelle
Gleichbehandlung in Wahrheit eine Zurücksetzung bedeutet. Denn die
Gefahren, welche den Besitzlosen bedrohen, machen ihn im allgemeinen relativ
viel schwächer, als den Vermögenden, ja vielen Gefahren steht er geradezu
machtlos gegenüber. Wir erkennen heute sehr wohl, daß die auch sonst dem
Liberalismus zugrunde liegende Annahme von dem gleichen Maß der ‚‚eigenen
Kraft‘ aller Menschen eine fiktive gewesen ist, welche bei vielen Wortführern
dieses Systems auf einem zu weit getriebenen Optimismus, bei vielen aber
unzweifelhaft auf dem Bestreben beruhte, die besitzlose Klasse ausbeuten zu
können, ohne vom Staate daran gehindert zu werden. Diese Lehre überwunden
zu haben, ist das weltgeschichtliche Verdienst der Zeit, in welcher wir leben.
Wir begreifen heute, daß der Besitzlose in einem viel höheren Maße vom Staate
geschützt werden muß, als der Wohlhabende. Diese Erkenntnis hat u.a. eine
einschneidende Ergänzung und Umgestaltung der Polizeigesetze und Ver-
ordnungen nötig gemacht, welche in allen Staaten je nach dem Stande ihrer
Kultur bereits begonnen wurde und sich noch lange ins 20. Jahrhundert hinein
fortsetzen wird.
Die Erfahrungen, die wir aus den sozialen Kämpfen des 19. Jahrhunderts
sammeln konnten, lehrten uns dabei, wie wenig die Erlassung von Gesetzen
allein nützt, wenn ihre Ausführung nicht in die geeigneten Hände gelegt und
nicht außerdem sorgfältig beobachtet wird. Nur allzusehr hat man sich in der
Periode des Liberalismus mit der Erlassung von polizeilichen Schutzgesetzen
begnügt. Die ungeheure Überschätzung des Wertes von Gesetzen ist ja über-
haupt ein charakteristisches, aus der Naturrechtsphilosophie geerbtes Merk-
Die Gegenwart.