Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 435 
wachsende internationale Verkehr solche Differenzen zusehends aus, wiewohl 
sie immer noch groß genug sind. Wir können diese letzteren kaum streifen. 
Tiefer noch, als die nationalen, greifen die Unterschiede in der prinzipiellen 
Stellung des Staates zu den einzelnen Kulturgebieten. 
Il. Die Sprache. Am wenigsten scheint sich der Staat um die Sprache 
zu bekümmern, die man lediglich für ein Objekt freier ‚‚gesellschaftlicher‘ 
und daher anarchischer Entwickelung halten möchte. Doch ist dabei nicht zu 
übersehen, daß die Sprache das Verständigungsmittel der Priester und Be- 
amten, ein Gegenstand des Unterrichtes, einer speziellen Wissenschaft, und 
daß sie es ist, durch welche die Poesie wirkt. Auch die Sprache wird daher 
vom Staate gepflegt, soweit sich seine Tätigkeit nach diesen Richtungen hin 
erstreckt. Doch sind dies mehr Reflexwirkungen. Allein auch direkte Beein- 
flussung gibt es hier. Denn obwohl die Sprache unstreitig eines der Grund- 
elemente aller Kultur ist und sie daher mit all dem Reizvollen, was aus ihr und 
mit ihr an Kulturgütern erzeugt wird, einer zivilisierten Zeit als etwas Wert- 
volles, Interessantes, Schutz- und Pflegewürdiges erscheinen sollte, so ist doch 
dieser Gesichtspunkt durch die Politik sehr stark zurückgedrängt. Die Sprache 
ist eben nicht bloß ein Kulturgut, sondern auch — wie ehedem und zum Teil 
heute noch — Religion, Kunst, Tracht u.a. ein Merkmal der Nationalität, 
das heißt ein gemeinsamer geistiger Besitz und damit ein unerläßliches Mittel DerStaatunddie 
der Herrschaft, welch letztere ohne das Verständigungsmittel der Sprache "täten. 
nicht möglich ist. Nun werden in fast allen Staaten, auch in jenen mit schein- 
bar „einheitlicher Nationalität‘‘ mehrere Sprachen gesprochen, wobei die 
Grenzen zwischen Sprache und Dialekt unerörtert bleiben mögen. Die Ein- 
heit der Nationalität eines Staates aber ist stets das Werk einer zielbewußten 
staatlichen Tätigkeit gewesen, welche für die eine Sprache eine Pflege, für 
die anderen aber eine absichtliche Nichtpflege, eine Vernachlässigung ist, 
“um diese von der Fähigkeit amtliches Verständigungsmittel und damit von 
der Möglichkeit ‚„Kultursprache‘ zu werden, auszuschließen. Die Erreichung 
dieses Zieles, welches sich durch die naturgemäße Abneigung gegen fremde 
Nationalitäten verschärft, wird stark beeinträchtigt, wenn nationale Minori- 
täten, wie es bei den Polen, Dänen, Serben, Rumänen, Armeniern u. a. der 
Fall ist, Teile größerer Nationen sind und noch mehr dann, wenn.diese letzteren 
zugleich benachbarte, selbständige Nationalstaaten bilden. In diesem Verhält- 
nis stehen die Dänen und Franzosen des Deutschen Reiches, die Deutschen 
Rußlands, die Rumänen Ungarns und viele andere. Und selbst dort, wo keines 
von beiden der Fall ist, wie bei den Iren, Letten, Basken, Georgiern u.a., 
haben sich die Minoritätssprachen oft mit einer unglaublichen Zähigkeit er- 
halten, während andere, wie die der Wenden allerdings völlig vernichtet worden 
sind. Eine Vernichtungspolitik ist zwar so gut wie unmöglich, seitdem (haupt- 
sächlich infolge der Reformation) die Schätzung der Nationalität und der 
Muttersprache ein Kennzeichen unserer Zivilisation geworden ist. Aber selbst 
die mildere Verkümmerungspolitik erweist sich heute als undurchführbar, 
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