Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 443 
bloß künstlerisch wertvolle Denkwürdigkeiten zu erhalten und sich zu er- 
halten. Man ist in dieser Beziehung vielenorts zu Veräußerungsverboten, 
staatlichen Vorkaufsrechten, Ausfuhrverboten, ja sogar Expropriationen ge- 
langt. Selbst auf Naturschönheiten hat man staatlichen Schutz zu legen 
begonnen. Anders steht es bisher mit den übrigen Künsten, die freilich auch 
anderer Formen bedürfen. Die Musik verlangt zum Teile, Oper und Drama 
naturgemäß öffentliche Aufführung. Damit ist speziell für das Drama eine 
von den anderen Kunstmitteln sehr verschiedene, politisch wichtige Stellung 
gegeben. Das Drama ist nicht bloß Kunstdarbietung, sondern auch Bildungs- 
stätte im höchsten Sinne und von größter Wirkung, eine Stätte der Er- 
haltung, aber auch — so sollte es wenigstens sein — der Fortbildung unserer 
Kultur und Sitte. Der Zusammenhang mit staatlicher Kunstpflege scheint 
damit von selbst gegeben zu sein. Nun werden allerdings öffentliche Aufführungen 
der polizeilichen Überwachung unterstellt, neuestens beginnt man sich auch um 
das Verhältnis des Personales namentlich des weiblichen zu der Leitung zu be 
kümmern. Im übrigen aber sind sie, soweit sie nicht noch aus früherem Mäzenaten 
tum der Fürsten als höfische Veranstaltungen übrig geblieben und zu öffentlichen 
Anstalten geworden sind, im allgemeinen dem gewerblichen Privatbetriebe an- 
heimgestellt und auch rechtlich als Gewerbe behandelt, was zur Genüge beweist, 
wie wenig die Bedeutung des Dramas erkannt wird. Es kommen allerdings 
nicht nur Subventionierungen durch den Staat und die Kommunen vor, son- 
dern die Anstalten selbst stehen hie nnd da in deren Eigentum, werden dann 
aber regelmäßig verpachtet. Durch diese Unterstellung des Aufführungswesens 
unter das Gewerberecht leidet einerseits oft der künstlerische Gesichtspunkt, 
und es wird andererseits ein Monopol der besitzenden Klassen daraus. Ob die 
Zukunft auch hier öffentliche, vielleicht sogar unentgeltliche Veranstaltungen 
bringen wird, wie sie Rousseau vorschwebten und in der Schweiz von jeher 
existieren, läßt sich schwer voraussagen. Die Idee des nationalen Festspieles, 
das in Bayreuth inauguriert zu haben die deutsche Nation vor allen sich rüh- 
men darf, mag wohl weiter entwickelt werden. Aber abgesehen hiervon ver- 
langt unsere Zeit gebieterischh daß mit der Ausschließung der besitzlosen 
Klassen vom Genusse der Kunst ein Ende gemacht werde. Das 20. Jahrhundert 
wird unzweifelhaft künstlerische Veranstaltungen aller Art von seiten der 
Kommunen und des Staates bringen und neben die Volksbibliothek wird das 
Volkstheater und das Volkskonzert treten. So wichtig und notwendig nun alle 
diese Formen öffentlicher Kunstpflege sind, so dürfen wir doch nicht blind 
sein gegen ihre Gefahren und Nachteile. Einmal wird auch durch sie die Mittel- 
mäßigkeit gefördert. Die großen bahnbrechenden Talente — Genies müssen 
so wie so außer acht bleiben — werden in der Regel feindselig von der 
offiziellen ‚Kunstpflege behandelt, zumal wenn diese in den Händen einer 
bornierten Parlaments- oder Stadtrats-Majorität liegt. Der naturgemäße 
Haß mittelmäßiger Köpfe gegen alles Neue äußert sich begreiflicherweise in 
besonders heftiger Weise gegen jede neue Kunstriehtung. Die andere noch 
schlimmere Gefahr aber liegt darin, daß der Staatsmann der Versuchung schwer 
Kunst und 
Sozialpolitik. 
Gefahren der 
Kunstpflege.
	        
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