444 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
widerstehen kann, die Kunst bewußt für seine politischen Ziele zu verwerten,
mindestens zu neutralisieren und zu entmannen. Nicht die ganze, aber ein
großer Teil der Kunst steht ja stets mit der Philosophie, Religion, Politik,
National- und Sozialpolitik ihrer Zeit in einem intimen Zusammenhang. Selbst-
verständlich sind die Beziehungen der modernen Kunst zu der Sozialpolitik
von besonderer Bedeutung. So viel Bestrebungen von rechts und links be-
merkbar sind, um die Kunst von einer sozialpolitischen Einflußnahme ferne zu
halten oder gar einen geträumten Selbstzweck (,L’Art pour L’Art‘‘) für sie
zu ersinnen, stets wird das Mitleid des Künstlers mit Armut, Schande und
Entbehrung und das ihm so fremde und doch wieder so nah verwandte Gefühl
der Empörung, stets wird der dem Künstler naturgemäß eigene Drang zur
Freiheit und seine Sympathie mit ihren Kämpfern eine unerschöpfliche Quelle
künstlerischer Produktion bilden, wie es von je gewesen. Und außerdem cha-
rakterisiert die jüngste Vergangenheit die Empfindung für die Schönheit
der Arbeit (Handarbeit natürlich!) — eine Empfindung, die bisher in der
Geschichte noch nie existiert hat, und die ein zartes und schwaches, aber doch
verheißungsvolles Band der Sympathie um die beiden feindlichen Gesellschafts-
klassen zu schlingen begonnen hat.
Und ganz abgesehen von alledem: es wirkt jede bedeutende künstlerische
Individualität revolutionierend, und zwar nicht nur für das ihr eigene Gebiet,
sondern jeder Einbruch in die Konvention zieht unaufhaltsam seine Kreise
bis zu dem entlegensten fort. Die ganze Kunst einer Epoche ist von der schein-
bar ‚„gedankenlosen‘‘, wie dem Tanz und dem Ornament bis zum Drama eine
geistige Einheit, die ihrerseits wieder mit den übrigen Gebieten der Kultur,
Wirtschaft, Religion, Wissenschaft usw. im innigsten Zusammenhange steht.
Man hat bei solcher Beeinflussung der Kunst nicht bloß an polizeiliche Ein-
griffe zu denken, die ja sehr zurückgegangen sind, weil man sich von ihrer Ein-
flußlosigkeit, ja Verkehrtheit überzeugt hat. Viel, kultivierter‘‘, aber gefährlicher
ist das Mittel der politischen Beeinflussung, welches eine starke Kunstpflege dem
Staatsmanne in die Hand gibt; um gewisse ihm bequeme Künstler einseitig zu
fördern und andere (unter denen regelmäßig die bedeutenderen Individualitäten
zu finden sein werden) zu unterdrücken. Von da ist dann nur ein kleiner Schritt
zu dem Standpunkt jenes Polizeipräsidenten, der vor kurzer Zeit zu einem be-
rühmten Dichter sagte: ‚ Ihre ganze Richtung paßt mir nicht‘ — ein Ausspruch,
der ebenso wie der von verwandter Stelle ausgegangene vom „beschränkten
Untertanenverstande‘‘' würdig ist, durch die Jahrhunderte zu gehen. Um solchen
Gefahren zu begegnen, gibt es nur ein Mittel: Die Selbstverwaltung der
Kunst durch die Künstler. Wir können diesen Gedanken, dem ohne
Zweifel die Zukunft gehört, hier nicht weiter ausführen, aber es ist leicht seine
Anfänge allerorten zu beobachten. Wir sind reif geworden, den Wert der
Selbständigkeit der Kunst zu würdigen und uns abzufinden mit der Notwendig-
keit ihrer Entwickelung, die der Staatsmann nie begreift, oder wenn er sie
begreift, meist verhindern oder ausbeuten will. Auch jener Weg hat seine
Dornen: denn gerade ‚wer als Meister geboren, hat unter Meistern den schlimm-