458 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
beitsverträge, Einigungsämter zu dulden, teilweise zu unterstützen. Aber im
ganzen muß man heute noch sagen, daß es schon eine relativ hohe sozial-
politische Weisheit verrät, wenn eine Polizeibehörde in Lohnkämpfen und
Streiks nicht direkt und mit Waffengewalt für die Unternehmer Partei nimmt,
wie dies noch vor gar nicht langer Zeit allgemein üblich war. In neuerer Zeit
fängt man nun an, diese soziale Schutztätigkeit auf den Handwerker-, Gewerbe-
und Bauernstand auszudehnen und auch dem Beamtenstand bessere Sorge
als bisher angedeihen zu lassen (,Mittelstandsbewegung‘'), wobei freilich
manche Konflikte mit der Förderung der Arbeiterschaft nicht ausbleiben
können.
Dürftiger ist es, was der Staat bisher in der Frauenfrage geleistet hat,
welche, soweit sie eine wirtschaftliche ist — und das ist ihr wichtigstes
Stück — hierher gehört. Wohl wurde in mehreren Staaten Frauenarbeit aus
dringenden Sittlichkeitsgründen oder zum Schutz der Mutterschaft beschränkt.
Man hat aber kaum noch begonnen die volle Tragweite der Fabrikärbeit der
Mütter zu würdigen und gegen die dadurch hervorgerufene Zerstörung des
Familienlebens Stellung zu nehmen. Sozialdemokratische Autoren, wie Bebel,
wollen zwar aus Gleichheitsschwärmerei Mann und Weib in der Arbeitsorgani-
sation ganz gleich stellen und zu diesem Zweck die Familie durch öffentliches
Anstaltsleben ersetzen. Allerdings ist dies ja leider im 19. Jahrhundert beim
Proletariat vielfach heute der Fall (Findelhäuser, Kindergärten, Waisenhäuser,
Erziehungsanstalten für verwahrloste Kinder usw.). Allein schwerlich wird
das 20. Jahrhundert auf diesem Wege weiter schreiten. Unzweifelhaft wird
die Mutterschaft allzeit der normale Beruf des Weibes bleiben. Wenn es auch
Pflicht und Aufgabe des Staates im 20. Jahrhundert sein wird, in viel höherem
Maße als bisher dem Teile des weiblichen Geschlechtes, welches diesen Beruf
nicht erreichen kann oder will, die Möglichkeit selbständiger Berufstätigkeit
zu gewähren, so darf und wird er doch das Heilmittel für die in so weitem
Umfange bereits erfolgte Zerstörung des Familienlebens nicht in der Verall-
gemeinerung dieser Zerstörung, sondern nur in der Abschaffung der Fabrik-
arbeit der Mutter finden. Dadurch werden Maßregeln gegen gewisse das Fa-
milienleben gleichfalls bedrohende Formen der Heimarbeit nicht ausgeschlossen
sein. Das 20. Jahrhundert wird das „Recht des Kindes auf die Familie‘ an-
erkennen; es wird dem Kinde die Familie, der Familie die Mutter wiedergeben.
Ist das bisher hier geschaffene schon dürftig genug, so ist vollends kläg-
lich, was der Staat gegenüber der eigentlichen partie honteuse unserer Kultur,
gegenüber der Prostitution geleistet hat. Man hat sich im allgemeinen noch
nicht über den sanitätspolizeilichen Gesichtspunkt erhoben, dessen einseitige
Betonung die Frage vom Standpunkt der besitzenden Klasse, und zwar ihrer
Männer behandeln heißt. Daß daneben den Staat auch die Pflicht trifft, die
Schwächsten der Schwachen zu beschützen; daß er diese Pflicht bisher schmäh-
lich außer acht gelassen hat und außer acht lassen wird, solange er, was ihm
die männliche Arbeiterschaft für den Bereich ihrer Interessen bereits abge-
wöhnt hat, mit fiktiven „Freiheiten“ und fingierten „stillschweigenden Zu-