Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

460 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht. 
das mehrfach zu beobachtende Bestreben den Heilquellen-Betrieb (in Österreich 
auch die Radium-Produktion), sowie Teile des Bergbaus, insbesondere auf 
Kohlen und Petroleum zu verstaatlichen. Noch interessanter ist es, das Über- 
greifen dieser Tendenz auf die Handelsbetriebe zu beobachten. Dahin gehört 
der Antrag Kanitz (1894) auf Verstaatlichung des Getreidehandels, Versuche 
den Kohlen- und Eisenhandel in Österreich, den Petroleumhandel im Deutschen 
Reich zu verstaatlichen, Bestrebungen, die allerdings bisher keine Erfolge ge- 
habt haben, aber charakteristische Merkmale der Zeit sind. Die Städte folgten 
derselben Tendenz und übernahmen die Straßenbahnen, die Versorgung mit 
Gas, Elektrizität, Trinkwasser, Arbeitsvermittelung, dazu allerlei Bildungs- und 
Sanitätsanstalten, wie oben gezeigt; auch kommunale Handelsbetriebe hin- 
sichtlich der notwendigsten Lebensmittel, wie Milch, Fleisch, Brot sind ent- 
standen. Beachtenswert ist auch die Tendenz der Städte, sich eigene Kohlen- 
gruben zu verschaffen, ferner größere Bodenterritorien zu erwerben, um durch 
Eigenbau oder langfristige Pachtverträge oder auch durch das neue Rechts- 
institut des Erbbaues billige Wohnungsgelegenheit zu bieten und so den wuche- 
rischen Zwischenhandel und die Spekulation zu beschränken. 
Wir sehen also eine gewaltige Tendenz, die Zahl der öffentlichen Betriebe zu 
vermehren, eine Tendenz von solcher Wucht, daß ihr selbst die klassischen Länder 
des wirtschaftlichen Liberalismus, England und Amerika, anheim zu fallen be- 
ginnen. Unzweifelhaft wirken da unwiderstehliche Triebfedern und es ist auch 
leicht sie aufzudecken. Neben künstlerischen, wissenschaftlichen, militärischen, 
sanitären Gesichtspunkten sind zwar auch heute noch finanzielle Motive für die 
Schaffung einzelner öffentlicher Betriebe bestimmend. Die wichtigsten und 
zahlreichsten aber sind wirtschaftspolitischer und sozialpolitischer Natur. Der 
öffentliche Betrieb ist notwendig ein Großbetrieb mit allen Vorteilen eines 
solchen, die Schwierigkeiten der privaten Kapitalsbeschaffung entfallen, es 
gibt kein geschäftliches Risiko, die Benutzungstaxen kann man beliebig regu- 
lieren, der Unternehmergewinn fällt dem Gemeinwesen zu und man kann hier 
die Ausbeutung der Arbeitskraft auf das richtige Maß beschränken. Endlich 
aber — und das ist wohl das Wichtigste — ist nur durch den öffentlichen Be- 
trieb der Ausartung von Kartellen oder Trusts in radikaler Weise zu steuern. 
Die Handels- und Gewerbefreiheit führt wie das amerikanische Beispiel beson- 
ders drastisch beweist, mit desto größerer Sicherheit, je unbeschränkter sie ist, 
zu ihrer eigenen Negation, zum Privatmonopol. Unsere Zeit verträgt aber 
keine Privatmonopole mehr. Lieber duldet sie die öffentlichen Monopole. In 
sehr vielen Fällen ist denn auch in der Tat die rechtliche oder tatsächliche 
Monopolisierung durch Staat oder Gemeinde die unvermeidliche Folge des 
Übergangs zum öffentlichen Betrieb. Viele Sozialisten stellen sich sogar den 
Übergang des Kapitalismus zum Kommunismus so vor, daß die Verstaatlichung 
oder Kommunalisierung der Betriebe allgemach sämtliche Produktionszweige 
ergreifen werde. Wir würden auf diese Weise zwar nicht auf revolutionärem 
Wege, wie Marx und Engels es prophezeit haben, aber immerhin in den 
„Zukunftsstaat‘‘ hineinwachsen. Auch in dieser „humanisierten‘‘ Form wird
	        
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