Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Der völkerrechtliche Verband. ı. Geltungsgebiet des Völkerrechts. 473 
gewesen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Öffnung der verschlossenen 
Grenzen durch Abschluß von Einzelverträgen geführt hat. Aber diese Aktion 
hat kriegsmäßige Gewalt anwenden müssen, um zu den Verträgen zu gelangen 
und deren Aufrechterhaltung zu sichern. China hat durch den Friedens-, 
Freundschafts- und Handelsvertrag zu Nanking mit Großbritannien vom 
29. August 1842, welchem die Verträge von Tientsin des Jahres 1858 mit Groß- 
britannien, Frankreich, Rußland und den Vereinigten Staaten von Amerika 
folgten, eine im Laufe der Zeit ansehnlich vermehrte Zahl von See-, Flußhäfen 
und Plätzen dem fremden Handelsverkehr eröffnet, die Zugänglichkeit des 
Landesinneren unter Paßpflicht, sowie die Exterritorialität für die Angehörigen 
der Vertragsstaaten bewilligt; auch fremde diplomatische, konsularische, kommis- 
sarische Vertretung zugestanden. Auf dieser Grundlage sind gleichartige Verträge 
mit der Klausel der Meistbegünstigung auch mit anderen Ländern, zuerst am 
2. September 1861 mit Deutschland, abgeschlossen worden. Dieschweren äußeren 
Krisen und inneren Wirren, welche die Kriege mit Frankreich (1884/85), mit 
Japan (1894/95), welche die in Form von Pachtverträgen sich vollziehende 
Festsetzung europäischer Mächte, welche sodann die Reformbewegungen, der 
fremdenfeindliche Boxeraufstand (1900) und die daran sich knüpfende Kollektiv- 
intervention der Mächte (1900/01), welche schließlich die Abdankung der Mand- 
schu-Dynastie (12.Februar 1912) und der mit Einführung einer republikanischen 
Verfassung geplante Neubau des Staatswesens für das gewaltige, fast ein Viertel 
der gesamten Menschheit in sich schließende Reich mit sich führten, haben an 
seiner völkerrechtlichen Stellung zunächst nichts wesentliches geändert. Doch 
ist durch das sog. Yangtse-Abkommen vom 16. Oktober 1900 von Großbritan- 
nien und Deutschland, sowie den adhärierenden „beteiligten‘‘ Mächten als ge- 
meinsamer Grundsatz ihrer Politik die Aufrechterhaltung ihrer dortigen Vertrags- 
rechte, die „offene Tür‘ für die Angehörigen aller Nationen, sowie die un- 
verminderte Erhaltung des Territorialbestandes des Chinesischen Reichs ver- 
einbart worden. — Japan gab durch den Perryvertrag mit der amerika- 
nischen Union vom 31. März 1854, dem alsbald zahlreiche andere Konventionen 
folgten, sein bis dahin grundsätzlich festgehaltenes Abschließungssystem auf 
und eröffnete eine Anzahl von Häfen und Plätzen dem ausländischen Verkehr. 
Die Revolution von 1868 führte zu einer Neuorganisation des Staates auf der 
Grundlage einer konstitutionellen Monarchie. Die mit erstaunlicher An- 
passungsfähigkeit an die Zivilisation des Westens bewirkte Kodifikation des 
Landesrechtes schuf die Möglichkeit eines Fremdenrechtes nach europäischem 
Zuschnitt. Dann hat die heißbegehrte Vertragsrevision von 1894 die volle 
Erschließung des Landesinneren für Niederlassung, Handel und Gewerbebetrieb 
der unter die Garantien staatsbürgerlicher Freiheit gestellten Ausländer ge- 
bracht und deren Exterritorialität beseitigt. Mit Ausgang des 19. Jahrhunderts 
ist das japanische Kaiserreich aus dem Kreise der Länder konsularer Juris- 
diktion herausgetreten. Als vollberechtigtes Mitglied hat es sich, der erste Vor- 
gang dieser Art, den europäischen und amerikanischen Trägern der völkerrecht- 
lichen Ordnung hinzugesellt. Zwei in den Formen derselben erfolgreich durch-
	        
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