Das
Anerkennung
verfahren.
478 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht.
hat sie von jeher ihren Beruf darin gefunden, das Bewußtsein der Kulturvölker
mit völkerrechtlichen Anschauungen zu erfüllen und damit für Befestigung,
Erweiterung und Vervollkommnung der völkerrechtlichen Ordnung schöpferisch
zu wirken.
II. Die Mitglieder des völkerrechtlichen Verbandes.
I. Entstehung, Untergang, Kontinuität des Staates. Auf die
Frage, unter welchen Voraussetzungen ein menschlicher Verband das Recht
hat als Staat, also als Mitglied der völkerrechtlichen Gemeinschaft, anerkannt
zu werden, erteilt die in dieser geltende Rechtsordnung eine sehr bestimmte
Antwort. Dreierlei ist erforderlich und hinreichend. Einmal muß vorhanden sein
ein Volk, d.h. eine in rechtlicher Gemeinschaft zusammenlebende, eine höchste
Gewalt als rechtlichen Ausdruck ihres Gesamtwillens tatsächlich anerkennende
Menschenmenge. Wie diese Gemeinschaft sich gebildet habe, ob in legitimer
Weise oder durch Rechtsbruch; welches Band außer dem politischen ihre Mit-
glieder umfasse, sei es das der Rasse, der Nationalität, der Religion, der Ge-
sittung, ist völkerrechtlich irrelevant. Sodann aber muß die höchste Gewalt,
um als Staatsgewalt zu gelten, eine souveräne sein, d. h. im Verhältnis zu den
Volksgenossen über Inhalt und Umfang ihrer Wirksamkeit kraft eigenen Rechtes
mit Ausschließlichkeit bestimmen. Hierbei mag sie verpflichtet sein, die Mo-
tive ihrer Entschließungen von einer fremden Autorität zu empfangen; und
es besteht die Möglichkeit, daß sie völkerrechtlich gebunden ist, Regierungs-
akte nach dem Willen einer übergeordneten Macht vorzunehmen oder zu unter-
lassen. Ihre Souveränität wird dadurch noch nicht aufgehoben. Durch welche
Organisation, mit welcher Staatsform, unter welcher Verfassung die Staats-
gewalt ihre Herrschaft übe, ist für die internationale Persönlichkeit des Staates
erst von sekundärer Bedeutung. Endlich wird dem unter einer souveränen Ge-
walt politisch organisierten Volke Staatsqualität nur dann zugesprochen, wenn
es in ausschließlicher Beziehung zu einem in feste Grenzen zusammengeschlosse-
nen Landgebiete steht. Zum Staate gehört das Land. Dem modernen Völker-
recht erscheint die territoriale Qualifikation des Staates gegenüber der perso-
nalen als die höhere und vornehmere.
Die Frage aber, ob im Einzelfall ein tatsächlich bestehender Volksverband
bereits staatlichen Charakter trage, also Subjekt völkerrechtlicher Ansprüche
und Pflichten sei, wird mit seiner eigenen Erklärung noch nicht endgültig ent-
schieden. Vielmehr ist es bei dem Mangel einer höchsten internationalen In-
stanz lediglich die Staatengesellschaft selbst, die über die Aufnahme eines neuen
Gliedes in ihre Mitte entscheidet. Nur ist die Aufnahme niemals ein Akt frei-
schaffender Willkür. Sie kann nicht versagt werden, sobald die Vorbedingungen
gegeben sind, also eine konstituierte Regierung sich in tatsächlichem Besitz
souveräner Herrschaft über Land und Volk befindet und fähig ist, die Veran-
wortung für die Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten zu übernehmen.
Formvorschriften für die Aufnahme bestehen nicht. Regelmäßig ist sie eine
stillschweigende und vollzieht sich durch konkludente Handlungen der einzel-