Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. DieMitglied.d. völkerrechtl. Verbandes. 2. Unterschiede völkerrechtl. Persönlichk. 481 
staat und Gliedstaaten kommt die Souveränität des staatlichen Wollens zum 
Ausdruck. Sie ergänzen einander. Damit ist die verwickelte, völkerrechtlich 
unvollkommene Staatsform des zusammengesetzten Staates (Staatensystem in 
ursprünglichem Sinne, Staatenreich, Gesamtstaat) gegeben. In einem solchen 
wird die völkerrechtliche Rechtsfähigkeit der Gliedstaaten beschränkt durch 
die Zuständigkeiten der Zentralgewalt. Ihnen pflegt insbesondere die Gesandt- 
schaftsfähigkeit, die Vertragsfähigkeit, das Kriegsrecht, also das Recht neutral 
zu sein, zugunsten des Oberstaats ganz oder teilweise entzogen zu sein. Insoweit 
dies der Fall ist, erscheinen sie rechtlich lediglich als integrierende Teile des 
Gesamtstaats. Der Sprachgebrauch der Franzosen, das Wort Souveränität 
nicht zur Bezeichnung einer Eigenschaft der Staatsgewalt zu verwenden, son- 
dern als identisch mit deren Inhalt zu fassen, hat seit J. J. Moser den völker- 
rechtlichen Sprachgebrauch eingebürgert, die Gliedstaaten als halbsouverän 
zu charakterisieren, weil ihnen nämlich ein Teil der Souveränitätsrechte abgehe. 
Diese Terminologie läßt als souverän nur diejenigen Mächte gelten, denen die 
volle Rechtsfähigkeit des Völkerrechts zukommt. Die Verfassung eines zusam- 
mengesetzten Staates läßt eine zweifache Form zu. Einmal können die Glied- 
staaten die Nebenländer eines Hauptlandes sein, dessen Staatsgewalt für sie 
die Zentralgewalt darstellt. Dieses System hat eine großartige Verwirklichung 
gefunden in den indischen Kolonialreichen Großbritanniens, Frankreichs, der 
Niederlande, unter Anwendung auf die Eingeborenenstaaten. Es bildet die 
stark verblaßte Grundlage für die Verfassung des Osmanischen Reiches. Die 
zweite Form ist der moderne Bundesstaat (Föderativstaat).. Für ihn sind 
charakteristisch die gleichen Rechte und gleichen Pflichten, in welchen alle 
Einzelstaaten, die größten wie die kleinsten, der gemeinsamen Zentralgewalt 
gegenüber gestellt sind. 
Wenn ein Staat rechtlich gebunden ist, seine auswärtige Politik nach dem 
Willen einer anderen Macht zu führen, bezeichnen wir ihn als von derselben 
abhängig im Rechtssinne. Ein solches Verhältnis beschränkt an sich nicht 
seine völkerrechtliche Rechtsfähigkeit und mit Halbsouveränität fällt es be- 
griffllich nicht zusammen. Wohl aber wird seine Handlungsfähigkeit gemindert 
durch Unterordnung unter die Oberhoheit (Oberherrlichkeit) einer fremden 
Staatsgewalt. Die internationalen Abhängigkeitsverhältnisse lassen mannig- 
fache Abstufungen zu. Der Völkerbrauch hat zwei Formen ausgebildet. Eine 
ältere, welche lehnrechtliche Anschauungen zugrunde legt, besteht in der Unter- 
werfung eines Vasallenstaats unter eine suzeräne (lehnsherrliche) Macht. Die 
Abhängigkeit qualifiziert sich hier als Treupflicht, die nicht bloß in der allge- 
meinen Richtung der Politik zu betätigen, sondern vielfach auch durch Einzel- 
leistungen von mancherlei Art zu erweisen ist. Die Suzeränität kann durch Ver- 
bindung mit Regierungsrechten so gesteigert werden, daß dem Vasallenstaat, 
wie es regelmäßig der Fall ist, eine bloße Halbsouveränität verbleibt. Eine 
neuere Form der Abhängigkeit ist das völkerrechtliche Protektorat. Ein solches 
Verhältnis legt dem schutzherrlichen Staat zunächst nur die Verpflichtung auf, 
den Schutzstaat gegen Angriffe von außen mit seiner eigenen Macht zu ver- 
Kultur der Gegenwart. II. 8. 2. Aufl. 31 
Der abhängige 
Staat.
	        
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