Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Gebietsverlust. 
Beschränkungen 
des 
Gebietsrechts. 
Die Nationalität. 
454 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht. 
der alten Staatsangehörigkeit, mit rückwirkender Kraft, vorbehalten zu 
werden. 
Verloren gehen einem Staate Bestandteile seines Gebietes lediglich durch 
ihre Veräußerung. Sie ist entweder Zession oder Dereliktion. Als Dereliktion 
kann die bloße Unterlassung von Herrschaftsakten nicht erachtet werden. 
Vermöge seines Territorialrechts hat jeder Staat in der die Analogieen des 
Privatrechts verwendenden Auffassungsweise des Völkerrechts die Befugnis, 
Gebietsteile vertragsmäßig zu belasten; sei es durch Konstituierung einer Pfand- 
schaft, sei es durch pachtweise Überlassung, sei es durch Übertragung zu Besitz und 
Verwaltung, sei es endlich durch Bestellung einer Staatsservitut. Man spricht 
nach feststehendem Sprachgebrauch von einer solchen, wenn ein vertrags- 
mäßig bestimmtes hoheitliches (insbesondere militärhoheitliches) Verfügungs- 
recht über das Territorium oder dessen Teile einer fremden Macht oder mehreren 
dauernd eingeräumt wird. Sie kann affırmativ oder negativ sein, d. h. in einem 
dem oder den Berechtigten eingeräumten Untersagungsrechte bestehen. 
II. Dem Verhältnis persönlicher Zugehörigkeit zu einem Staatsverbande 
gibt das bestehende Völkerrecht einen zweifachen Inhalt. Einmal steht der 
Inländer unter der Herrschaft seines Staates, gleichviel, wo er sich befinde. 
Weder sein eigenes Belieben, noch die Anordnung einer fremden Macht kann 
ihn von der Beobachtung der heimischen Gesetze entbinden und vor den aus 
dem Ungehorsam für ihn sich ergebenden Rechtsfolgen schützen. Gegenwirkung 
ist sein Anspruch auf Teilnahme an den rechtlichen Einrichtungen und An- 
stalten des Heimatsstaates, die dieser nicht versagen darf. Insbesondere schuldet 
der Staat seinen Angehörigen die Aufnahme. Ihre Ausweisung oder Zurück- 
weisung oder Verbannung würde völkerrechtlich wirkungslos sein. Sodann 
aber ist der Bürger seinem Vaterlande, solange er das nationale Band nicht ge- 
löst hat, zur Treue verpflichtet. Ihren rechtlichen Ausdruck findet diese Pflicht 
in der Bestrafung des Landesverrats, sowie positiv in der Anforderung zum 
Waffendienst. Ausländer können nicht treupflichtig, nicht militärpflichtig ge- 
macht werden. Auch hierfür besteht ein Korrelat in Recht und Obliegenheit 
der Regierung, den Nationalen auch im Auslande den erforderlichen Schutz 
zu gewähren. 
Dieser Inhalt des Nationalitätsrechts läßt eine mehrfache Staatsange- 
hörigkeit als ein nicht durchführbares Rechtsverhältnis erscheinen. Nichts- 
destoweniger besteht bei der Disharmonie der Nationalitätsgesetzgebungen die 
formelle Möglichkeit eines solchen noch immer in weitem Umfange, da die 
Staaten im allgemeinen noch nicht geneigt sind, die Naturalisation von einem 
Nachweise der Entlassung aus dem bisherigen Untertanenverbande abhängig 
sein, oder mit erfolgter Naturalisation in der Fremde die bisherige Nationalität 
ohne weiteres untergehen zu lassen. In neuerer Zeit hat man gemeint, auf 
völkerrechtichem Wege den zahlreichen aus solchem Doppelverhältnis sich er- 
gebenden Mißständen durch Abschluß von sog. Naturalisationsverträgen, nach 
dem von den Vereinigten Staaten von Amerika gegebenen Anstoß, entgehen 
zu können.
	        
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