500 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht.
ordnen. Nur wäre es eine Illusion, wollte man solchen Kongreß- oder General-
akten, Unionsverträgen, Deklarationen um ihrer grundlegenden Bedeutung,
ihres abstrakten Inhalts, ihrer programmatischen Natur willen die Eigenschaft
von Verträgen überhaupt absprechen, sie diesen, die bloße ‚ Rechtsgeschäfte‘‘
wären, als ‚‚Vereinbarungen‘' gegenüberstellen, ihren Klauseln gar den Charakter
des objektiven Rechts, wie dem Völkerrecht selber, beilegen. Denn sie ent-
stehen vertragsmäßig, kommen nach den Regeln des Vertragsrechts zur Ab-
änderung und unterliegen nach Maßgabe desselben auch einseitiger Aufkündi-
gung. Sie geben jedem der zahlreichen Teilnehmer ein Forderungsrecht gegen
jeden Genossen, vorkommenden Falles vertragsmäßig zu handeln oder die
Folgen der Vertragsverletzung zu tragen. Tatsächlich sind sie wohl weniger
prekär als die auf ein individuelles Handeln gerichteten Konventionen isolierter
Mächte. Aber rechtlich sind sie nichts anderes als Staatsverträge. Die
Identität des Wollens schafft einen gemeinsamen, aber Keinen Gesamtwillen.
Freilich kann der Wille der Vertragsgenossen auf die Gründung eines Staaten-
vereins in dem 0.5. 492 besprochenen Sinne gerichtet sein. Und wenn dann
der Verein konstituiert und damit die vertragsmäßig gegebene Zusage erfüllt
ist, mag die Möglichkeit gegeben sein, die Mitglieder durch die statutenmäßigen
Beschlüsse eines Vereinsorgans zu binden; wofür der Staatenbund das Para-
digma bietet. Aber auch solche Bindung ist nur eine vertragsmäßige. Selbst
die stipulierte „Ewigkeit‘‘ des Grundvertrages kann darüber nicht hinweg-
täuschen. — Den rechtsetzenden Verträgen treten solche zweiseitigen Rechts-
geschäfte zur Seite, welche die Begründung, Übertragung und Aufhebung von
Regierungsrechten zum Gegenstand haben. Sie entsprechen den dinglichen
Einigungen des heutigen deutschen Rechtes: Zessionsverträge, Protektorats-
verträge, Servitutenverträge, Grenzverträge, Teilungsverträge, Zollanschluß-
verträge. — Aber die Mehrzahl aller Staatsverträge wird nach wie vor gestellt
durch die auf konkrete Leistungen und Forderungsrechte rein obligatorischer
Natur gerichteten Willenseinigungen. Unter ihnen ragen durch ihre politische
Bedeutung hervor die Allianzen; den casus foederis bildet entweder der feind-
liche Angriff von außen oder schlechthin der Eintritt des Kriegszustandes für
einen der Alliierten. Nicht so weit reicht der Garantievertrag. So nämlich
werden diejenigen, formell selbständigen oder unselbständigen, Übereinkünfte
bezeichnet, durch welche eine Macht oder eine Mehrheit von Mächten, ent-
weder jede für sich (Separatgarantie), oder solidarisch (Kollektivgarantie), die
Verbindlichkeit übernehmen, ein völkerrechtliches Rechtsverhältnis gegen Ver-
letzungen, sei es seitens der vertragenden Teile selbst, sei es seitens eines dritten
Staates, durch alle angemessenen Mittel aufrechtzuerhalten. Wirkung ist die
Pflicht jedes Gewähren, auf erhaltene Aufforderung die versprochene Hilfe zu
leisten.
Aufhebung der Für die Aufhebung der Staatsverträge hat das Völkerrecht drei überaus
"Staatsverträge.
charakteristische Regeln ausgebildet. Einmal gestattet es anerkanntermaßen
die einseitige Lossagung von einem Vertrage in dem außerordentlichen Falle,
daß durch Eintritt eines nicht voraussehbaren Ereignisses die Umstände, unter