Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Das Gesandt- 
schaftsrecht. 
506 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht. 
völkerrechtliche Organisation der Staatenwelt und ermöglichte an jedem Hofe 
eine Gesamtrepräsentation der Mächte. Als Geschäftssprache wurde seit dem 
Übergewichte der französischen Kultur an Stelle der überkommenen lateinischen 
die französische angenommen. Der Inbegriff aller hierher gehörigen Gebräuche, 
Einrichtungen, Beziehungen, Rechtsnormen, Maximen wird seither als Diplo- 
matie zusammengefaßt. Die steigende Mannigfaltigkeit der für jeden Staat im 
Auslande wahrzunehmenden Interessen hat nun aber zu einer in steter Ver- 
mehrung befindlichen Vervielfältigung des damit betrauten Personals geführt. 
Organe des auswärtigen Dienstes sind heutzutage einmal die Ministerien der 
auswärtigen Angelegenheiten; sodann die ins Ausland entsendeten, mit Amts- 
vollmacht versehenen Vertreter der Regierungen. Als solche erscheinen an 
erster Stelle die Gesandten, nämlich die unter öffentlicher Beglaubigung mit 
einer diplomatischen Mission, d.h. zu Verhandlung mit einer fremden Re- 
gierung bestimmten Personen. Von ihnen werden unterschieden die diplo- 
matischen Agenten, denen ein bestimmter Charakter mit den daran geknüpften 
Rechtsvorzügen nicht erteilt wird. Nicht minder heben von ihnen sich ab die 
Kommissarien (Delegierten, Bevollmächtigten), denen die Erledigung einzelner 
Geschäfte oder Geschäftskreise amtlich aufgetragen wird; sie sind an sich nie- 
mals Mitglieder eines diplomatischen Korps und auch für sie hat das Völker- 
recht eine bestimmte Rechtsstellung noch nicht ausgeprägt. In einen ergänzen- 
den Gegensatz zur diplomatischen Vertretung stellt sich die erst im Laufe 
des 19. Jahrhunderts zu hoher Bedeutung und reicher Entwickelung gelangte 
konsularische Institution. Ihre Aufgabe ist es, den Privatverkehr der Na- 
tionalen im Auslande gegenüber den Lokalbehörden amtlich zu schützen, zu 
vertreten, zu überwachen. Der Konsul als solcher hat keine Mission. Übt nun 
zwar auch jedes Mitglied des internationalen Verbandes die Befugnis, mit einer 
fremden Regierung durch Entsendung von diplomatischen oder konsularischen 
Vertretern einen amtlichen Verkehr unter den hierfür bestehenden völkerrecht- 
lichen Formen und Schutzeinrichtungen anzuknüpfen, so entspricht dem doch 
auf seiten der letzteren keineswegs die Pflicht, einen solchen mit jedem Staate 
zu führen und zu unterhalten. Vielmehr bedarf es im Einzelfall hierzu eines 
gegenseitigen Einverständnisses. 
Unter den diplomatischen Personen hat man bereits im 16. Jahrhundert 
nach den ihnen durch die Kreditive beigelegten Rangvorzügen und daraufhin 
im Empfangsstaat zu erweisenden Ehren eine Abstufung vorgenommen. Den 
aus dem mittelalterlichen Gebrauch übernommenen Ambassadeuren trat eine 
minder anspruchsvolle diplomatische Repräsentation zur Seite, deren Träger 
seit dem Aufkommen ständiger Missionen mit dem Titel eines Residenten be- 
stellt, oder noch farbloser als Mandatare, oder Agenten, oder Minister, oder 
Charges d’affaires bezeichnet wurden. Nur war es nicht zweifelhaft, daß vor 
Funktionären dieser Art die zu besonderen Gelegenheiten und Zwecken vorüber- 
gehend an fremde Höfe abgeordneten Standespersonen, die ohne nähere Charakte- 
risierung als ‚außerordentlich gesandt‘‘ beglaubigt wurden, immer den Vorrang 
zu beanspruchen hätten. Diese unbestimmte Bezeichnung eines „Envoye“
	        
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