D. Das positive Recht, IV. Jurisprudenz als Wissenschaft. 33
ist zuzugeben. Aus ihr folgt aber nicht, daß jenes verbietende Gesetz nicht
rechtlich gelte, sondern dieses, daß neues Recht durch Rechtsbruch aller-
dings zur Entstehung zu kommen vermag (C.4). Wollte man dagegen den
zitierten Puchtaschen Satz in dem Sinne aufnehmen und behalten, daß jenes
verbietende Staatsgesetz zwar geltendes Recht, aber eines von sachlicher
Bedenklichkeit sei, so könnte das als Gegenstand weiterer Untersuchung
stehen bleiben. Dann wäre zuzusehen, ob nach einer unbedingt gültigen for-
malen Methode für die besonderen sozialen Zustände eines besonderen Volkes
und Landes Gesetzesrecht oder Gewohnheitsrecht als bedingte Rechtsquelle
den Vorzug verdiene, ob also das vorhin angenommene, konkrete Verbots-
gesetz nach dem allgemeinen formalen Grundgedanken jedes Rechtes über-
haupt in dieser besonderen Lage gerechtfertigt sei oder nicht.
Betrachten wir zum Schlusse die letzte oben gestellte Frage nach dem ur-
sachlichen Verlaufe der Änderungen von bestimmtem Rechtsinhalte im Laufe
der sozialen Geschichte, so läßt sich dieser allerdings in einer übereinstimmenden
Art und Weise vorstellen. Es bilden sich bei der Ausführung eines sozialen
Zusammenwirkens gewisse gleichheitliche Massenerscheinungen als ökonomische
Phänomene (vgl. A. 3). Aus diesen erstehen Bestrebungen auf Änderung — oder
entgegengesetzt: auf Beibehaltung — der bestehenden Rechtsordnung, als der
bedingenden Art und Weise des seitherigen Zusammenwirkens. Haben jene
Urteile und Entschlüsse einen gewissen Erfolg, so fällt die bisherige Art dieser
Gesellschaft und damit von selbst die Gesamtheit der dadurch bedingten so-
zialen Erscheinungen. Es wiederholt sich nun der obige Vorgang: es bilden sich
unter der neuen Regelung wieder neue gesellschaftliche Phänomene, Bestre-
bungen, Umänderungen — in einem steten, nie abgeschlossenen Kreislaufe
des sozialen Lebens,
Hierdurch wird der Gedanke von der durchgängigen Einheit der sozialen
Betrachtung gewahrt, und das wirkliche Geschehen im gesellschaftlichen Wir-
ken der Menschen im Sinne eines grundsätzlichen Monismus erfaßt. Er bedeutet
das Prinzip, die geschichtlichen Bewegungen des sozialen Lebens nur aus Grün-
den zu begreifen, die innerhalb seiner eigenen Bedingungen stehen. Die wissen-
schaftliche Durchführung der Sozialgeschichte besteht also in dem Er-
forschen der Wandlungen des gesellschaftlichen Daseins aus sozialen Phäno-
menen und ihnen entspringenden Strebungen her.
IV. Jurisprudenz als Wissenschaft. Das Thema unserer Über-
schrift ist gar manches Mal als problematisch hingestellt worden; am schärfsten
wohl von Kirchmann in seiner Schrift „Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz
als Wissenschaft‘‘ (1848). Er vermied es freilich, den Begriff der ‚Wissenschaft‘
im Sinne eines Obersatzes seines Schlusses aufzustellen, sondern machte im
wesentlichen auf drei Besonderheiten aufmerksam, die den rechtlichen Fragen
eigentümlich sind: auf die Veränderlichkeit der Rechtssätze, auf ihre Eigen-
schaft als menschliches Streben, auf ihre Herkunft aus Menschenwort her.
Allein alles dieses trifft nur den bedingten Bestandteil von gegebenem Rechts-
Kultur der Gegenwart. II. 8. 2. Auf. 3
Ursachen von
Recht»
änderungen.