514 FERDINAND voN MARTITZ: Völkerrecht.
unverkennbarer Weise offenkundig gemacht werde, entweder durch ausdrück-
liche Erklärung, sei es pure, sei es eventuell (Ultimatum, Sommation), oder
auch ohne solche, durch unzweideutige Tatsachen. In diesem lebhaft beklagten
Rechtszustand, der eine scharfe Abgrenzung von Friedenszustand und Kriegs-
zustand vermissen ließ und die Lage der mit der Eventualität eines Krieges rech-
nenden Regierungen, nicht minder die der Neutralen prekär machte, hat die Haager
Konvention Il vom 18. Oktober 1907 wohltätig eingegriffen. Sie bestimmt
für die Vertragsmächte bei Kriegen unter sich, daß dem Beginn der Feind-
seligkeiten stets eine unzweideutige Benachrichtigung voranzugehen habe; ein
bestimmter Fristablauf hiefür wird allerdings nicht gefordert. Diese erfolgt,
sofern sie nicht Ultimatum ist, in der Form einer mit Gründen versehenen
Kriegserklärung. Für die Neutralen wird der Kriegszustand erst wirksam mit
Eingang einer unverzüglich zu erteilenden Notifikation; es müßte denn sein,
daß sie nachweislich ihn gekannt hätten. Gegen Überraschungen durch einen
unvermutet eintretenden Kriegszustand wird nach dem neueren Brauch der
Seeverkehr geschützt: einmal durch Gewährung von Indultfristen für die. in
Häfen liegenden feindlichen, oder, im Falle der Blockade neutralen Privat-
schiffe; sodann durch Beschränkungen in der Handhabung des Prisenrechts
gegen die in Unkenntnis der ausgebrochenen Feindseligkeiten auf See betroffenen
feindlichen oder neutralen Schiffe. Eingehende Festsetzungen hierüber ent-
halten die Haager Konvention VI vom 18. Oktober 1907 und die Londoner
Seerechtsdeklaration vom 26. Februar 1909, A.9. 14. 16. 43. 45 al. 3.
Der Kriegs Nach der Verschiedenheit des Kriegsschauplatzes ist der Krieg Landkrieg
schauplatz. . . . .
oder Seekrieg. Für den letzteren gelten weitgreifende Besonderheiten.
Der Landkrieg wird auf den der territorialen Hoheit der kämpfenden
Mächte unterstehenden Land-, Wasser- und Seeflächen geführt. Hier ist der
auch den Luftraum erfassende Kriegsschauplatz stets räumlich umgrenzt. In
gegenseitigem Einverständnis mag er noch weitergehend lokalisiert werden und
mögen vertragsmäßig Plätze, Landstriche, Kolonialgebiete, Wasserstraßen,
Meerengen, sei es für immer, sei es für den einzelnen Krieg, militärischen Feind-
seligkeiten verschlossen sein. Dagegen bleibt der Seekrieg zwar außerhalb der
Staatsgebiete; aber nach dem Rechte der Meeresfreiheit ist Erringen der „See-
herrschaft‘' Kriegsziel und die offeneSee in allen ihren Teilen, auch in den fernsten,
Kriegsschauplatz. Der Wunsch, daßirgend eine Möglichkeitgeschaffen werde, dieses
unermeßliche Kriegstheatereinzuschränken, hatbis jetztkeine Erfüllung gefunden,
Der Kriegs Die Regeln, nach denen gekämpft wird, bilden die Kriegsmanier (Kriegs-
gebrauch. . RE . eye. .
gebrauch, loi de guerre). Sie sind weit genug, um der militärischen Notwendig-
keit den erforderten Spielraum zu lassen. Nur im Falle des Notstandes würde
es, schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, nicht unzulässig sein, sich über
sie hinwegzusetzen, was man mit dem einer Mißdeutung fähigen Ausdruck
Kriegsräson bezeichnet, Und Repressalienverfahren kommt auch im Kriege
zur Anwendung.
Humanisierung Immer aber ist der einzelne Krieg ein ungeheures menschliches Leid,
des Krieges. .
und das Begehren, den Kriegszustand seltener, kürzer, humaner zu gestalten,