VIII. Der Krieg und sein Recht. 2. Die kriegführenden Teile. 5ı5
eine Forderung der Sittlichkeit und der Politik. Nur freilich die durch den
Kriegszweck geforderte Gewalt und das Streben nach Vermehrung und Ver-
vollkommnung ihrer Mittel vermag sie nicht zu mäßigen und zu beschränken.
Die Erhaltung des Friedens ist die hohe Aufgabe der auswärtigen Politik. Nur
freilich dem höheren Interesse hat sie zu weichen, und kriegsbereit zu sein ist
ein elementares Anliegen staatlichen Lebens. Die Geschichte zeigt eine zu-
nehmende Veredelung der von dem jus gentium der alten Welt weit abweichen-
den, durch die Rittersitte des Mittelalters begründeten, in den Traditionen
der stehenden Heere forterhaltenen Kriegsgebräuche. Eine Reihe moderner
Staatsverträge ist bestimmt, diesem humanen Ziele zu dienen. Auch haben die
technischen Verbesserungen im Kriegswesen zu Lande wie zu Wasser tatsäch-
lich sowohl die Neigung zur Kriegführung, als auch die Dauer der Kriege,
als auch die Zahl der menschlichen Kriegsopfer vermindert.
Seitdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die europäische Die Rechts-
Staatenwelt nach einer langen Friedensperiode abermals ein kriegerisches Zeit-
alter angebrochen war, haben zahlreiche rechtsetzende Kollektivverträge der
Mächte es unternommen, das Kriegsrecht auf seinen bisherigen Grundlagen
reformierend neu zu regeln. Den Anfang machte eine einschneidende Neu-.
regelung desSeekrieges, nämlich die von den sieben Staaten des Pariser Kongresses
von 1856 vereinbarte De£claration reglant divers points de droit maritime vom
16. April 1856. Sie beschränkt sich auf vier ein unteilbares Ganze bildende
Regeln und gilt heute als die Magna Charta des Seekriegsrechts (Niemeyer).
Alle größeren Seestaaten sind ihr förmlich beigetreten; neuerdings Spanien
(18. Januar 1908) und Mexiko (13. Februar 1909). Nur die Vereinigten Staaten
von Amerika verharren bis auf den heutigen Tag bei ihrem Entschluß, den
Beitritt zu versagen und zwar lediglich um der Regel I willen, welche die Kaperei
verbietet. — Den Impulsen, die der französisch-österreichische Krieg von 1859
gab und der ruhmvollen schweizerischen Initiative ist zu verdanken die für den
Landkrieg geltende Genfer Convention pour l’amelioration du sort des milstaires
blesses ow malades dans les armees en campagne vom 22. August 1864. Fast alle
Staaten der Welt bindend (im Jahre 1906 waren es 49; Meurer, in Kohlers Zeit-
schrift für Völkerrecht IS. 22), gibt das rote Kreuz im weißen Felde der Auf-
fassung, daß Soldaten nach ihrer Verwundung oder Erkrankung wehrlose
Feinde sind, einen ergreifenden Ausdruck. Ersetzt ist sie worden (für die bei-
tretenden Regierungen) durch die neue Genfer Konvention vom 6. Juli 1906,
welche das ganze materielle Sanitätsrecht des Landkrieges umfaßt. — Einen
speziellen Punkt sieht vor die den Land- und Seekrieg betreffende Petersburger
De£claration relative a l’interdiction des balles explosibles en temps de guerre vom
13. Dezember 1868. Ihr Gedanke, die militärische Notwendigkeit mit den Ge-
boten der Menschlichkeit auszugleichen, hat in der Richtung nach Einschrän-
kung der Hostilitäten in hohem Maße befruchtend gewirkt.
Den epochemachenden Versuch, das Kriegsrecht in seinen wichtigsten
Punkten, zunächst für den Landkrieg, zu kodifizieren, hatte eine in Brüssel
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